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Ich bin davon überzeugt, dass jeder Mensch die Lebensrealität eines anderen positiv beeinflussen kann. Wenn man so viel Macht hat und dann auch noch derart privilegiert lebt, wie wir alle es tun – das verpflichtet zu sozialem Engagement. „Tempus fugit“ – Zeit vergeht wie im Fluge und ist schon allein deshalb in unserer Gesellschaft ein rares Gut. Doch bedarf es lediglich eines persönlichen Organisationsaufwandes, um sie spenden zu können. Ein Aufwand, der verhältnislos groß in Dankbarkeit und Freude vergütet wird.

Aus oben genannten Gründen war ich zwei Jahre lang im PV tätig und habe im vorletzten Jahr den Besuch des Altenheimes „Seniorenhaus am Pipping“ in Holzminden durch Schüler:innen ins Leben gerufen. Da die Bewohner: innen wandelnde Geschichtsbücher sind und wir so unendlich viel von ihnen und ihren Lebensrealitäten lernen können, handelt es sich meines Erachtens mindestens um eine Win:Win Situation. Um meine sehr große Freude an guten Slogans, bzw. Redewendungen zu bemühen: „In der Jugend lernt, im Alter versteht man.“ (Marie von Ebner-Eschenbach, österreichische Schriftstellerin, 1830 – 1916).
Intelligente Slogans und der bewusste Gebrauch von Sprache sind definitiv Dinge, die mein Leben erhellen. Wobei ich, die dort am heimischsten is_s_t, wo es Spätzle gibt, wahrlich nicht auf Hochdeutsch beharre – I schwätz vo Herza gern Schwäbisch, dies isch die Schbrache meines Herzens. Weshalb neben einer kleinen Fassung des Grundgesetzes und einer Spieluhr, die die erste Internationale spielt, auch immer ein komprimierter „Schwäbisch-Deutsch“ Langenscheidt Duden in meiner Alltagsbegleitung, einer kleinen Handtasche, zu finden ist! Ja, das Grundgesetz. Mir ist Gerechtigkeit ein ebenso hohes Gut, wie es Authentizität ist. Lebenszeit ist entschieden zu kurz, um sich zu verstellen oder schweigend wegzusehen. Ich bin ich und vertrete meine Meinungen. Immer. Egal, wie ermüdend es manches Mal auch sein mag. Wiederum ein Zitat: “Jemand, der weiß, dass er widersprechen kann, weiß auch, dass er gewissermaßen zustimmt, wenn er nicht widerspricht“- Hannah Arendt.


Da ich bereits in der 3. Klasse der Meinung war, dass das Internat Solling für mich der richtige Ort ist, habe ich bereits mit sieben Jahren meine Eltern dahingehend bearbeitet. Erfolgreich! Der 20.08.2018 war mein erster Tag am LSH und somit bezeichne ich mich völlig zu Recht als „alte LSH-Häsin“. Nach wie vor bin ich sehr gerne hier, muss aber auch gestehen, dass sich allmählich eine gewisse Vorfreude darauf einstellt, in absehbaren zwei Jahren alleine zu leben. Wie es wohl für mich sein wird, alleinige Herrin eines Hauses, sprich einer Studi-Bude, zu sein? Auf jeden Fall wird es mich herausfordern, da ich durchaus die „Internats-Krankheit“ habe, nicht gerne alleine zu sein.

Mich amüsiert es, wenn Mitschüler:innen, die aus Großstädten nach Holzminden kommen, meinen, es sei hier still. Weit gefehlt! Hier herrscht ein stetes Gewusel, es tönen rund um die Uhr Lebensgeräusche. „Still“ ist es in meinem Elternhaus auf dem Dorf. Wo ich, wenn ich daheim bin, mit anpacke und es durchaus als „Quality-Time“ definiere, meinem Vater, der als Selbstständiger u.a. Winterdienst fährt, in diesen langen Nächten Gesellschaft zu leisten und mit ihm über Gott und die Welt zu schwätzen. Wobei auch meine persönliche Definition von „Gott“ eine sehr diverse ist. Da meine Mutter Brasilianerin ist, fühle ich mich, obgleich ich protestantisch aufgewachsen bin, zu ihrer Naturreligion „Candomblè“ hingezogen und finde Halt und Sicherheit sowohl in dem Rosenkranz über meinem Bett, als auch in den kleinen Figuren aus Stein aus ihrer Heimat, die in meinem Zimmer über mich wachen.

Eine wilde Mischung? Bestimmt. Das bin letztendlich ICH. Mit sowohl afro-brasilianischen, als auch deutschen Wurzeln, einem schwäbischen Daheim und einem niedersächsischen Zuhause. Bildungsdeutsch und Herzensschwäbisch, einer ausgeprägten Begeisterung für Latein, mittelbrauner Haut und dunklen Locken. Geschlechter sind in meinen Augen irrelevant (einer von vielen Gründen, weshalb ich ab Sommerferien die Organisation des „Queeren Clubs“ übernehmen werde), Wurzeln sind es nicht.


Derer habe ich viele. Die Identitätsfrage ist einer von vielen Gründen, weshalb mich die Vita der Landtagspräsidentin von Baden-Württemberg, Muhterem Aras (1. Frau in dieser Position! Grüne! Migrantin!), derart interessiert, dass ich mich mittels einer Initiativbewerbung bei ihr für mein Praktikum beworben habe. Erfolgreich! Und das auch noch in meiner Lieblingsstadt Stuttgart! I-Tüpfelchen auf mein Praktikum war, dass ich im Anschluss an den Landtag noch eine Woche bei „Harrys Bude“ mitarbeiten durfte. Harry hat, auf seine persönlichen Erfahrungen als Obdachloser aufbauend, einen Ort der sozialen Begegnung geschaffen, wo Menschen aller Nationalitäten, Bedürfnisse und sozialer Herkunft, sich austauschen und gerettete Lebensmittel erhalten können. Beide Praktika waren lebensverändernd für mich. Ich habe in diesen drei Wochen Einblicke in mir bisher fremde Bereiche nehmen können und die Bedeutung von Begrifflichkeiten wie zum Beispiel „Demokratie“ und „Sozialstaat“ völlig neu erlernt. Inwiefern diese drei Wochen auch wegweisend für meine Zukunft waren, vermag ich noch nicht definitiv zu sagen. Ich habe ja noch viel Lebenszeit vor mir, die es zu genießen und zu nutzen gilt. „Carpe diem“, wie wir Lateiner sagen.

Im März 2025