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Ich war schon immer in der Lage, nachzudenken und einen Lösungsweg zu finden. Was ich wiederum so gar nicht kann ist: Dann abzuwarten „bis sich der richtige Zeitpunkt ergibt“. Ich möchte schon sehr gerne, dass sich alles zeitnah gemäß meines Planes erfüllt. Ganz im Gegensatz dazu kann ich bekennende Listen-Verfasserin gelassen „to do-Punkte“ auf einen anderen Zeitpunkt verschieben. Hauptsache, sie sind schriftlich niedergelegt und somit aus meinem Kopf. Das Verschriftlichen von Fakten liegt mir im Blut. Ich habe das große Glück gehabt, schon früh zu wissen, dass ich Journalistin werden möchte und mich ab Ende der Oberstufe zielsicher in diese Richtung bewegt.

Ähnlich dem „Doppelten Lottchen“ aus der Feder des Herrn Erich Kästner sind meine Schwester und ich (seit meinem 10. Lebensjahr) voneinander getrennt bei unseren getrennten Elternteilen aufgewachsen. Da hören die Gemeinsamkeiten zu dem Buch aber auch schon auf – wir haben an unterschiedlichen Tagen Geburtstag und standen immer in gutem Kontakt zu- und untereinander.

Da meine Schulnoten sich nicht eben zum allerbesten entwickelten, schlug mein Vater mir einen Internatsbesuch vor. Die Entscheidung für das Internat Solling war nicht nur eine räumliche (wir lebten in Wolfenbüttel), sondern lag auch herzensnah, da er einige Jahre am Internat unterrichtet und ich somit schon viel Gutes gehört hatte. So wurde ich Landschulheimerin und das LSH zu meinem Anker. Da wir zuvor häufig umgezogen waren, war das Internat der erste Ort, an dem ich sieben Jahre am Stück gelebt habe. Mittlerweile lebe ich der Liebe wegen seit ca. 10 Jahren in Hamburg. Mit gleich drei Lebensgefährten: Oliver, den ich aus meiner LSH-Zeit kenne, unserem gemeinsamen Hund Toni und Hashimoto, von dem ich seit meiner Studienzeit weiß. Erstgenannte liebe ich, zweitgenannte habe ich zu akzeptieren gelernt. Mein Weg zur Akzeptanz war davon geprägt, die Krankheit selber in die Hand zu nehmen, indem ich mich umfassend informiert und rausgefunden habe, was mir guttut und hilft. Informationen einholen kann ich als Journalistin! Bei Hashimoto handelt es sich um eine Autoimmunkrankheit, die eine chronische Entzündung der Schilddrüse hervorruft. In der Schilddrüse wiederum werden lebenswichtige Schilddrüsenhormone, die Stoffwechsel, Kreislauf, Wachstum und Psyche beeinflussen, produziert – oder eben nicht, ist diese entzündet. Dank eines nicht nur fachlich kompetenten, sondern auch zwischenmenschlich großartigen Arztes bin ich nicht nur in guten Händen, sondern vielmehr auch mit dem mir durch die Krankheit gesteckten Rahmen (bewusste Ernährung, ausreichend Schlaf, Stressreduktion, Sport…) im Reinen.
Wahrscheinlich ist die Krankheit ein Überbleibsel vom Pfeifferschen Drüsenfieber, das ich mir von einem von einer befreundeten LSHlerin vermittelten Au-Pair-Aufenthalt in Brüssel mitgebracht habe. Zuvor habe ich als Praktikantin bei der Braunschweiger Zeitung gearbeitet und hatte das kolossale Glück, nicht nur redaktionell dort arbeiten zu dürfen, sondern dies auch noch in der aufregenden Zeit der Grenzöffnung. Wir hatten alle Freiheiten und konnten in dieser so besonderen Aufbruchsstimmung aus dem Vollem schöpfen! Nach dem Zwischenspiel in Brüssel und meiner vollständigen Genesung vom Pfeifferschen Drüsenfieber habe ich mich in Braunschweig eingeschrieben und es genossen, an einer kleinen Uni mit vielen netten Leuten zu studieren. Nach diversen Praktika mit Ausflügen in die Welt von Radio, Fernsehen und Pressestelle habe ich nach dem Magister-Abschluss mein Volontariat bei der Zeitung gemacht und 2000 fest dort angefangen, nachdem ich während des Studiums immer in Kontakt geblieben war und dort gejobbt habe. Mein Herz hing also weiter am geschriebenen Wort.
2008 hat dann mein Körper die Notbremse gezogen. Unzählige Überstunden mit hohem Cortisonspiegel ob der tagesaktuellen Berichterstattung forderten ihren Tribut. Mein Arzt machte die Ansage, dass Eiseninfusionen und Vitamin-B12-Spritzen zwar kurzfristig helfen, aber nichts ändern würden. Das müsse ich schon selber.
Tja. Da saß ich nun im Spagat zwischen dem, was ich liebte und wollte, und dem, was ich tatsächlichen zu leisten vermochte. Es folgte eine Zeit des Denkens und Sortierens. Loslassen ist eine echt anstrengende Aufgabe, bei der mein Perfektionismus nicht nur hilfreich war. Wie es so ist im Leben: Fängt man an, an einem Ende eines Knotens zu ziehen, so entrollt sich vieles, und das Ende ist nur bedingt ersichtlich. Letzten Endes ging ich geschieden und auch von meinem anerkannten, gut bezahlten Job mit Karriereaussichten getrennt aus dieser Zeit hervor.

Schulfreund Oliver hat mir beratend zur Seite gestanden und aus Freundschaft wurde Liebe. In Hamburg sagte meine ehemalige LSH-Zimmerkameradin Anna Reinecke: „Du, wir brauchen bei Eikon Nord jemanden für das Backoffice, der auch mal recherchieren kann“, und so wurde aus einer Urlaubsvertretung eine Tätigkeit, die mir große Freude bereitet und in der Kombination aus Recherche und Organisation wie für mich gemacht ist. Unser 6 Menschen umfassendes tolles Team kann mit Fug und Recht von sich behaupten, echt gutes Fernsehen zu produzieren. Darüber hinaus kann ich zu Zeiten arbeiten, die den Bedürfnissen von Hashimoto angepasst sind.

Ich bin in allen Lebensbereichen am richtigen Platz. Dass ich mal dermaßen rundum glücklich sein würde, hätte mir vor 11-12 Jahren keiner erzählen können. Ebenso wenig, dass das LSH beständig der rote Faden vieler glücklicher Fügungen sein würde. Und dafür bin ich wirklich sehr dankbar.