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Anna Schütz

Manchmal denke ich, meine Aufgabe am Internat Solling fügt alles auf wunderbare Weise zusammen: Mein Interesse an Menschen und ihren Geschichten, meine Leidenschaft für Kommunikation und mein mittlerweile schon lange zurückliegendes Lehramtsstudium, aber auch mein Bedürfnis, etwas von dem Glück, in ein gutes Leben hineingeboren worden zu sein, abzugeben. Als Fundraiserin und Zuständige für das Alumni-Netzwerk des Internat Solling setze ich mich schließlich mit der Unterstützung vieler engagierter Altschüler:innen vor allem dafür ein, dass auch junge Menschen, deren Familien nicht den notwendigen finanziellen Spielraum haben, aufs Internat Solling gehen und mit einem Stipendium am Internat ihre Talente entfalten können. Umgekehrt sind sie es, so hoffe ich, die andere Menschen inspirieren und als verantwortungsbewusste Persönlichkeiten mit Rückgrat nach dem Abitur in die Welt entlassen werden, um diese vielleicht ein bisschen besser – gerechter, emissionsfrei, friedlicher … – zu machen.
Nach dem Staatsexamen führte mich mein Weg zunächst allerdings nicht wie geplant in die Schule. Ein Praktikum beim Burda-Verlag in München öffnete mir die Tür in den Journalismus. Nach dem Studium wurde mir einer der begehrten Volontariats-Plätze des Verlages angeboten und ich habe mich mit großer Begeisterung in das Redaktionsleben gestürzt! Die Kooperation zwischen dem Verlag und der Deutschen Journalistenschule vereinte Theorie und Praxis und führte mich anschließend in zwanzig Berufsjahren als Journalistin in die Auslandsredaktionen von Focus und Elle in Paris, zum Tagesspiegel nach Berlin und auf zahlreiche Recherchereisen in alle Welt – zunächst als angestellte Redakteurin, in den letzten zehn Jahren als freie Reiseautorin vor allem für Familiengeschichten. Denn da ich schon beim ersten Kind die Erfahrung machen musste, dass man es als Halbtagskraft in Redaktionen schwer hat, habe ich mich beim zweiten kurzerhand selbstständig und unabhängig gemacht. Denn obwohl ich mich aus vollem Herzen dafür entschieden hatte, die Arbeitszeit im Verlag zu reduzieren, gefiel es mir trotzdem nicht, nicht alles geben zu können. Als Eltern war uns klar: Wir wollten nicht beide beides voll ausleben, sondern versuchen, es bestmöglich zu verbinden. Für mich hieß und heißt das, nicht Vollzeit zu arbeiten. Für das Internat Solling bedeutet es, dass ich auf dem Papier eine halbe Stelle habe und in den meisten Wochen nur 1-2-mal in Holzminden und ansonsten im hannoverschen Homeoffice tätig bin. Da hatte Corona doch tatsächlich ein Gutes: Durch den erzwungenen Digitalisierungsschub sind die Wege zwischen Hannover und Holzminden kürzer geworden und es ist mittlerweile völlig normal, sich per Teams auszutauschen. Einen Bildschirm zu teilen und sich trotz der räumlichen Entfernung anschauen zu können, erleichtert das Tagesgeschäft ungemein. Und so gelingt es mir hoffentlich meistens ganz gut, meine eigenen Bedürfnisse, die meiner Kinder und die unserer (Alt)Schüler:innen unter den vielzitierten einen Hut zu bringen.
Herzenssache war das Internat Solling übrigens schon lange vor Antritt meines jetzigen Jobs, da ich zuvor als freie Mitarbeiterin Texte für das Internat verfasst habe. Kennen- und schätzen gelernt habe ich es im Zuge eines Interviewtermins mit Helga Volger, bei dem wir beide im Vorfeld von einem Zeitfenster von rund 30 Minuten ausgegangen sind. Stattdessen haben wir uns über zwei Stunden lebhaft ausgetauscht und ich in meinem anschließenden Artikel wiedergegeben, was ich hier seitdem täglich bestätigt finde: eine sehr an den Kinder- n und Jugendlichen orientierte Pädagogik, deren einziger Nachteil meiner Meinung nach ist, dass der Besuch des Internates teuer ist. Dass ich nun, rund zehn Jahre später, mit dazu beitragen kann, weniger gut situierten Kindern unsere tolle Schule zu ermöglichen, finde ich großartig!
Insofern verstehe ich unsere Stipendien als wunderbare Chance, halte sie aber auch für gesellschaftlich dringend notwendig. Wir brauchen leistungsfähige und leistungswillige junge Menschen, deren Engagement sich nicht nur auf gute Noten konzentriert, sondern die sich durch Empathie, Kreativität und Kommunikationsfähigkeit auszeichnen, um die Gesellschaft und die Zukunft der Welt positiv zu beeinflussen. Leistungsstipendiaten und Leistungsstipendiatinnen sind für mich daher echte Hoffnungsträger in einer Zeit der düsteren Prognosen.
Es ist vielleicht nicht schwer sich vorzustellen, dass meine Tage oft zu wenig Stunden haben. Abschalten fällt dann manchmal schwer, obwohl es so wichtig ist. Ich kann das am besten in unserem Ferienhaus im Harz, das wir sehr gerne mit Freunden nutzen, wenn es nicht gerade vermietet ist. Ein Glas Wein auf der Terrasse, gemeinsames Kochen, Spielen oder Singen und Wanderungen mit Weitblick. Draußen zu sein und mich zu bewegen, tut mir gut, Musik weitet mein Herz und angeregte Gespräche bereiten mir Freude – klingt nach „Hand, Herz, Kopf“, oder? Passt also!

im Juli 2022