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Meine zwei ganz großen Träume habe ich verwirklicht.


Der eine war, mit einem Segelschiff den Atlantik zu überqueren. Das habe ich 2018/2019 getan. Den anderen, in einem Wohnmobil zu leben und zu reisen, lebe ich seit mittlerweile zwei Jahren permanent. Mir behagt das materiell reduzierte Leben an frei gewählten Orten sehr.


Das mag ein Stück weit daran liegen, dass ich mich damit schwertue, einen Ort als „Heimat“ oder „Zuhause“ zu definieren. Aufgewachsen bin ich in Peru, bis meine Eltern nach 26 Jahren in Südamerika beschlossen, wieder in Europa leben zu wollen. Da ihre Heimat Österreich ihnen zu kleingeistig war und meine Mutter gerne am Meer leben wollte, fuhr mein Vater von Barcelona aus die spanische Küste ab, bis er mit Torremolinos einen Ort fand, den er sich als Zuhause für uns vorstellen konnte. So bestiegen wir ein Kreuzfahrtschiff, das uns von Lima über den Panama Kanal nach Barcelona brachte. Im Anschluss fuhren wir im Eiltempo mit unserem Volvo nach Graz zur Promotionsfeier meines älteren Bruders. Dann ging es nach Deutschland, wo mich meine Eltern schweren Herzens im LSH ablieferten. Bekannte hatten ihnen erzählt, dass es sich um eine sehr gute Schule handle. Zudem bot das Landschulheim Spanisch als Hauptfach an, was für mich, der nicht der allerfleißigste Schüler war, die Chance auf zumindest eine gute Note auf dem Zeugnis bot. Somit wurde ich mit 13 ½ LSHler und erlitt in den ersten Monaten durchaus einen kleinen Kulturschock. Mal von dem völlig anderen Klima und der Schuluniform ganz abgesehen, war es schwierig für mich, dass die Deutschen einander so wenig berührten. In meinem bisherigen Freundeskreis hingegen war es gang und gäbe. Das abzulegen habe ich schnell gelernt! Zurückblickend war meine Zeit am Internat sehr bereichernd für mich und ich habe nach wie vor eine enge emotionale Bindung an Freunde aus dieser Zeit und letztendlich den Ort an sich. Da ich in Spanien keine Freunde hatte und die Ferien auch immer zu kurz waren, um wirkliche Bindungen zu schaffen, wurde das Internat zunehmend zu meinem wirklichen Zuhause und ich fieberte dem Ferienende (und somit der Rückkehr nach Holzminden) immer entgegen. Wir Schüler erlebten den gesellschaftlichen und politischen Gärungsprozess der damaligen Zeit hautnah und nutzten die Nähe zu Göttingen, um dort mit den Studenten zu diskutieren; uns politisch fortzubilden und gegen den Vietnam-Krieg zu demonstrieren. Obwohl wir eher hippiemäßig und antiautoritär unterwegs waren, war das Ablegen der Magisterreife erstrebenswert für uns – sogar das Tragen des Magisteranzuges!


Im Anschluss an mein Abitur am LSH wollte ich eigentlich in Deutschland studieren. Da ich aber das Internat aufgrund einer Ehrenrunde ein Jahr länger genossen hatte als ursprünglich geplant, meinten meine Eltern, ich möge als Österreicher und auch aus Kostengründen in Salzburg studieren, denn dort könnte ich bei meiner Großmutter leben. Es hat aber nicht allzu lange gedauert, bis ich das Zimmer im Juchee (Österreichisch für Dachkammer) bei meiner Großmutter gegen eine der ersten WGs in Salzburg mit gleichgesinnten Kommiliton:innen eingetauscht habe! Entsprechend meinen breit gefächerten Interessen habe ich Sozialpädagogik, Politikwissenschaft, Psychologie und Germanistik studiert. Ich war bereits in meiner Schulzeit immer politisch engagiert und habe das Verlangen, mich für Schwächere und gegen Ungerechtigkeiten anzugehen, nie abgelegt. Nach der Promotion habe ich meinen Zivildienst in der Haftentlassenen-Hilfe absolviert und dort live erlebt, wie schwer es für diese Menschen ist, sich wieder in der Gesellschaft zurecht zu finden. Im Anschluss an mein Studium habe ich in einem Heim für „marginalisierte Mädchen“ als Sozialpädagoge gearbeitet. Nach einer einjährigen Reise durch Nord -, Mittel- und Süd – Amerika wurde mir klar, dass ich über meine Arbeit im Lateinamerika – Komitee in Salzburg hinaus vor Ort tätig werden möchte. So packte ich erneut meine Koffer und flog nach Nicaragua. Aus den geplanten drei Monaten wurde rasch ein Jahr, da ich aufgrund meiner Sprachkenntnisse als Koordinator für österreichische Arbeitsbrigaden in einer Kaffeegenossenschaft im Norden Nicaraguas engagiert wurde. Es hat mir dort wahnsinnig gut gefallen, da ich alle meine politischen Träume, über die wir zuvor nur theoretisiert hatten, zumindest teilweise verwirklichen und an der Realität messen konnte. Anschließend habe ich in Nicaragua für die American-Nicaraguan-Foundation (AFN) als Dolmetscher gearbeitet. Im Anschluss daran war ich einige Jahre in der Informationsstruktur der guatemaltekischen Freiheitsbewegung tätig. Daraufhin war ich im administrativen Bereich des Büros für Entwicklungszusammenarbeit des österreichischen Außenministeriums vor Ort tätig. Jawohl! Mit kurzen Haaren, aber ohne Krawatte – für Personen, die lediglich mein jetziges Erscheinungsbild kennen, vermutlich schwer vorstellbar. Nach den Wahlen 1995 gab es starke Umbrüche, sämtlich Förderungen wurden auf Eis gelegt. Dieser politisch – wirtschaftliche Einschnitt traf auch mich, da ich zu diesem Zeitpunkt gerade selbstständig in der Koordination und Logistik von deutsch-nicaraguanischen Städtepartnerschaften arbeitete. Mein Vater bot mir an, nach Spanien zu kommen und ihn in seinem Unternehmen zu unterstützen. Da ich in Nicaragua keinerlei Perspektiven mehr für mich sah, nahm ich sein Angebot gerne an und war für fünf Jahre in der Buchhaltung unseres Betriebes tätig. Dann hat mein Vater die Firma verkauft und im Zuge der darauffolgenden Umstrukturierungen gab es dort keinen Platz mehr für mich. Da ich Golfer war, habe ich mich mittels eines postgrade Studiums im Wirtschaftsbereich und in Golf weitergebildet und in der Leitung eines kleineren Golf-Clubs in Marbella gearbeitet. Danach habe ich einige Jahre die gemeinsame Finka meiner Ex-Frau und mir verwaltet, bis wir uns gemeinsam mit einem Kompagnon mit einer Getränke-Firma selbstständig gemacht haben, in der ich bis zu meiner Pensionierung tätig war.


Diese vielen Stationen erklären sicherlich, warum es mir leichtgefallen ist, meine Habe auf Wohnmobilgröße einzuschrumpfen und auch, warum es mir liegt, nunmehr ein fahrbares Zuhause zu haben.

In all diesen Jahren habe ich weder im Deutschen meinen österreichischen, noch im Spanischen meinen südamerikanischen Slang abgelegt. Beide sind unlöschbare Teile meiner bewegten Biographie. Im Laufe derer ich gelernt habe, meinen brodelnden Jähzorn zu bändigen und mit mir selber im Einklang zu leben. Dies ist mir ganz sicherlich deswegen gelungen, da ich sowohl politisch als auch gesellschaftlich durch meinen Einsatz einiges bewegen und manchen Menschen einen leichteren Lebensweg bescheren konnte. Sei es, indem ich mein Sandkorn dazu beigetragen habe, ihr gesellschaftliches Umfeld mitzugestalten oder ihnen persönlich dabei geholfen zu haben, ihre komplizierten Lebenssituationen in den Griff zu bekommen und umzugestalten.
Da kann ich doch nun wirklich zufrieden meine Rentnerstirn in die Sonne strecken, mit Freuden Europas Vielfalt erkunden und jährlich an den Ort zurückkehren, der das Zuhause meiner Jugend war und es mir ein Stück weit noch immer ist – das LSH. Das alljährliche Altschültertreffen ist spätestens seit dem 20jährigen Abitreffen 1992 ein wichtiger Termin für mich geworden und ich versuche, so oft als möglich daran teilzunehmen. Entsprechend plane ich meine Routen dahingehend. Für eine Unterkunft muss ich ja nicht sorgen!