Soziales Engagement war mir schon immer eine Herzensangelegenheit. Dank meines ausgeprägten Einfühlungsvermögens fällt es mir leicht, zu erspüren, was Menschen guttut und mich dafür stark zu machen. Somit war ich Zeit meines Erwachsenenlebens ehrenamtlich tätig. Auch beruflich habe ich mich dafür eingesetzt, anderen Menschen ein gutes Lebensumfeld zu schaffen. Mittlerweile sorge ich nunmehr in unserem Schrebergarten gemeinsam mit meinem Mann dafür, dass Pflanzen wachsen und gedeihen.
Während unseres einvernehmlichen Werkelns im Garten schweifen meine Gedanken häufig in das LSH ab, da wir aus Kam Lehmann so manch einen schönen Kam-Abend im Gartenhäuschen der Familie Lehmann verlebt haben. Nicht allein meine Naturverbundenheit hat am Internat ihren Anfang genommen, auch mein soziales Engagement – ich habe gerne Nachhilfe gegeben. Die wohl größte persönliche Bereicherung meiner Zeit in Holzminden waren die Erzählungen unserer internationalen Mitschüler, die mir dadurch eine völlig neue Welt eröffnet haben. Was habe ich sie um ihre Zweisprachigkeit beneidet, wie sehr habe ich es genossen, durch die Berichte von Dorita Schael gedanklich in Mexiko sein zu können! Ich muss meinen Eltern sehr davon vorgeschwärmt haben, so dass sie mir zum bestandenen Abitur völlig überraschend eine Reise nach Mexiko geschenkt haben. Welch große Freude! Neben dem Absolvieren eines Sprachkurses habe ich in einer Sozialstation gearbeitet, wo wir Lebensmittelpakete für alleinerziehende Mütter zusammengestellt haben und den Ärzten zur Hand gegangen sind. Darüber hinaus habe ich über die Mutter von Dorita Bekanntschaft mit Prof. Cremer, dem Gründer des ernährungswissenschaftlichen Institutes Gießen, gemacht. Nach einem gemeinsamen Besuch eines Vortrages im Rahmen eines Welterernährungskongresses stand für mich mein Zukunftswunsch fest: Ich wollte in einem Entwicklungsland tätig werden!
So habe ich mich für Ernährungswissenschaften in Gießen eingeschrieben, wo ich zunächst auch bei Familie Cremer wohnen konnte. Für das Vordiplom bin ich dann an die Universität Göttingen gewechselt, wo ich schlussendlich auch mein Diplom in Landwirtschaft gemacht habe. Nach einem einjährigen Ausbildungsprogramm der TU im Fachbereich „Entwicklung in ländlichen Räumen“ für internationale Landwirtschaft war es dann soweit: Ich habe im Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen drei Jahre auf Sansibar gearbeitet. Es war ein gutes und familiäres Arbeiten auf dieser schönen Insel, die bei aller Armut nicht verelendet war.
Wie das Leben so spielt – nach meiner Rückkehr habe ich meinen ersten Mann kennengelernt. Da er sich als Germanist und Kunsthistoriker im europäischen Kulturkreis aufhalten wollte, haben wir uns in Deutschland niedergelassen. Zunächst in Mannheim, wo er das Kulturzentrum „Alte Feuerwache“ geleitet hat. Sobald unsere beiden Kinder groß genug waren, habe ich mich neben einer Ausbildung in Hauswirtschaft ehrenamtlich für das Projekt „Café Filsbach“ engagiert, wo wir neben einer Begegnungsstätte auch einen Kreativraum mit Nähkursen und einer Schreinerei, Kinderbetreuung und anderem angeboten haben. Darüber hinaus waren wir auch in gutem Kontakt mit der jüdischen Gemeinde, haben eine Stadtteilzeitung mit Informationen aller Sozialverbände herausgegeben und waren Anlaufstelle für Patienten, die nach längeren Aufenthalten in medizinischen Einrichtungen wieder in die Welt gingen. Eine erfüllende, spannende Zeit! In deren Anschluss uns es in den hohen Norden nach Kiel zog, da mein Mann als Referent des Kultusministeriums berufen wurde. Neben den Aufgaben als Hausfrau und Mutter engagierte ich mich dort bis 2004 in der SPD.
Dann schied mein Mann und Vater unser beider Kinder sehr plötzlich aus dem Leben. Es folgte ein Jahr, in dem ich mich zwischen Friedhof, Garten und Zuhause bewegte und versuchte, nach diesem Schicksalsschlag wieder zu mir zu kommen. Zum Glück haben Familie und Freunde uns drei Hinterbliebene gut aufgefangen, zudem hat mein Glaube mich gestärkt. Es gab nie einen Bruch in meinem Glauben, er ist beständig in und bei mir.
Da stand ich. Allein mit zwei Kindern. Auf die Anregung einer lieben Freundin hin habe ich mich auf meinen Hauswirtschaftskurs zurückbesonnen und mich in der Seniorenbetreuung und Haushaltsführung Alleinstehender selbstständig gemacht, wo ich zwischenzeitlich vier feste Stellen parallel hatte. Mit diesem Aufgabengebiet schloss sich auch der Kreis, dass ich sehr gerne anderen Menschen helfe.
2011 passierte, was ich mir nie hätte vorstellen können und zuvor auch stets von mir gewiesen hatte: Ich lernte meinen jetzigen Mann kennen und lieben. Ich bin glücklich und stolz, dass wir miteinander, mit unseren Kindern und mittlerweile 7 Enkeln, eine harmonische und stabile Familie erschaffen haben, in der wir alle Geborgenheit erfahren.
Blicke ich mit meinen nunmehr 69 Jahren auf das Leben, so fasziniert mich eines immer wieder: Wie sehr vermeintlich zufällige Begegnungen und unplanbare Dinge es beeinflussen. Man muss nur im richtigen Moment zugreifen und das Glück beim Schopfe packen! So habe ich, da ich nach Jahren auf Mädchenschulen die Erfahrung machen wollte, mit Jungen unterrichtet zu werden und gar gemeinsam zu leben, am LSH Menschen kennen gelernt, mit denen mich bis heute eine kindlich-jugendliche Vertrautheit verbindet und die mir damals den Duft der weiten Welt in meine Gedankenwelt gebracht haben. Auf der darauffolgenden Reise haben sich meine Zukunftspläne gefestigt. 2011 saß ich in einem Café und lernte einen Mann kennen, der dieselben Werte wie ich lebt und schätzt – und der nun mein Ehemann ist. Wir genießen gemeinsam unseren Ruhestand. Die Freude an der Gartenarbeit, Besuche kultureller Veranstaltungen, Gymnastik und viel Bewegung halten uns fit. Und ich wünsche mir, dass dies noch lange so bleibt.
Im April 2023