50-prozent
Skip to content

Karlheinz Fölsing

Standhaftigkeit und ein gesundes Rechtsempfinden wurden mir von meiner Mutter in die Wiege gelegt, die für die damalige Zeit außergewöhnlich unabhängig war. Sie führte ein exquisites Geschäft für Kinderbekleidung und lebte – für die damalige Zeit eigentlich undenkbar – bis zur gesetzlichen Angleichung der Frauenrechte unverheiratet mit meinem Stiefvater zusammen .Ihr verdanke ich mein früh entwickeltes, kritisches Selbstbewusstsein.
 
Als ich 1968 ins LSH kam, hatte ich bereits ein wildes Internatsleben mit vielen zeitgemäßen Schattierungen hinter mir – leider gab es in den 50/60er Jahren an den zwei Internaten, die ich vor dem LSH besucht habe, durchaus despotische Lehrkräfte, die mir ausreichend Angriffs-, bzw. Übungsfläche boten. So wird man ein sogenannter „68er“ und lernt, zu seiner Meinung zu stehen! Was sich durchaus positiv auf meinen Lebensweg ausgewirkt hat: Das deutliche Artikulieren meines Standpunktes und klares Argumentieren waren und sind die Grundpfeiler meines juristischen Berufslebens.
 
Aus diesem ziehe ich mich nun (2021) im besten Rentenalter von 71 Jahren allmählich zurück, nachdem ich mich im Laufe der letzten Jahre von einer 300m² auf eine 70m² kleine Kanzlei (ich nenne sie„ Garagenkanzlei“) und mit einem Sprachassistenten anstelle einer Sekretärin verkleinert habe. 
 
Auch wenn es mich ein wenig schmerzt, dass ich keinen Nachfolger habe, blicke ich doch mit Stolz auf erfolgreiche Jahre zurück. Nach der Wende folgte ich 1992 dem Ruf des Justizministers und half beim Aufbau der Ämter zur Regelung offener Vermögensfragen in den neuen Bundesländern. Klärung bezüglich der sozialistischen Enteignungen waren natürlich ein spannendes Wirkungsfeld. 1997 habe ich den „Fachanwalt für Verwaltungsrecht“ aufgesattelt und war über 20 Jahre lang Vorsitzender des Ausschusses für Verwaltungsrecht bei der Rechtsanwaltskammer Sachsen-Anhalt. Wie wohl jedem Juristen hängen mir ein paar Fälle nach, bei denen es ganz besonders gemenschelt hat. So zum Beispiel der einer Schülerin, die sich in Folge eines Korbes mit dem Vorwurf eines sexuellen Übergriffes an ihrem Lehrer rächen wollte – mithilfe von Detektivarbeit konnte dies abgewehrt werden.
 
Derart spannende, manchmal auch anstrengende, Arbeit bedarf selbstverständlich eines Ausgleichs. Dank meiner Liebe zur „handgemachten“ Musik habe ich mein Leben lang musiziert und tue es immer noch, auch wenn meine Singstimme nicht mehr die alte ist. Zu meiner großen Freude stimmen meine beiden jüngeren Kinder gerne mal mit ein, wenn es hier anlässlich unseres alljährlichen Sommerfestes Live-Musik gibt. Hier im Südharz, wo ich mit meiner Frau Heidrun seit mehr als 20 Jahren lebe, haben wir uns ein kleines Paradies geschaffen, in dem wir all unsere Wünsche in Bezug auf „Lebensraum“ verwirklichen. So bin ich nun tatsächlich zum Gärtner mutiert! Es ist ein einmalig gesundes Gefühl, selbst angebautes Obst und Gemüse zu verspeisen. Als Jäger sorge ich zudem für eine gefüllte Truhe mit bester Lebensmittelqualität an Wildfleisch.
 
Ein in meinem Leben verbliebener “LSH- Anteil“ gehört dem Sport, Theater und Schauspiel. Gern erinnere ich mich an meine aktiven Handball-und Volleyballzeiten in der Schulmannschaft. Ebenso hatte das Theaterspiel unter der einzigartigen Frau Landmann einen prägenden Stellenwert. Mit dem 3-Personenstück „Freiheit für Clemens“ von Tankred Dorst sind wir sogar auf Kurztournee gegangen!
„Wir“ das waren Sigrid Landau, Thomas Wolfram und ich. Es waren einmalige Erlebnisse.
 
Freundschaften zu Mitschüler: innen sind im Laufe der Jahrzehnte durch Tod und
getrennte Lebenswege reduziert worden, doch bin mir dessen gewahr, dass der am LSH gelebte Geist des toleranten Miteinanders und der Rücksichtnahme auf andere mich lebensbegleitend geprägt hat. Da ich zuvor an Internaten war, die die Schüler stark reglementiert und kontrolliert haben, habe ich den mir als 18-jährigem am LSH sofort entgegenwehenden, frischen Freigeist natürlich sehr genossen! Umso mehr, als dass wir im Mentorat-Vorwerk in relativer Selbstverwaltung lebten, die ich auch manches Mal der Heimleitung gegenüber verteidigen musste. Insbesondere unser freier Umgang mit dem Hausschlüssel und dessen durchaus mal von der Heimordnung abweichenden Nutzung sorgte so manches Mal für Diskussionen.
Auf den Einwand „Ja, leben wir nun im selbstständigen und selbstverantwortlichen Mentorat, oder nicht? Sonst setzt uns einen Erwachsenen vor!“ wurden die Diskussionen dann schnell beendet.
 
 
Dass Herr Zuckschwerdt (Adam), der seinerzeit in der Funktion des Heimleiters im Vorwerk tätig war, und ich später mal befreundet sein könnten, war damals nicht so recht vorstellbar. Doch waren Adam und Eva gleich einen Tag, nachdem ich 1980 in Göttingen umzog, mit Brot und Salz zur Stelle, um uns ihren Segen im neuen Heim zu erteilen. Dank ihrer Angewohnheit, in ihrem alljährlichen Wohnmobil-Urlaub in Finnland (Evas Heimat) Blechkontakt zu anderen Fahrzeugen aufzunehmen, konnte ich die beiden regelmäßig bei ihren Schadensersatzforderungen anwaltlich unterstützen. Ein Beispiel von vielen, das aufzeigt, wie sehr bei uns LSHlern „Kopf, Herz und Hand“ unzertrennbar zusammengehören – ebenso, wie aus LSH-Zeit resultierenden Freundschaften.
im Januar 2022