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Nach den derzeitigen gesellschaftlichen Idealen werde ich wahrscheinlich als „langweilig“ bezeichnet.
Ich bin direkt im Anschluss an das Studium in den Beruf eingestiegen, habe mit 26 Jahren geheiratet und wir haben gerade ein Eigenheim erworben. Sehr große Partys mag ich zudem auch nicht sonderlich, vor allem da mir in größeren Menschengruppen die Gelegenheit zum wirklichen Austausch mit anderen fehlt. Sehr viel lieber spiele ich Gesellschaftsspiele mit Freunden. Auch wenn ich gerne mit meinem Mann reise, so brauche ich es nicht, die große, weite Welt zu erobern.
Was sich jetzt für manch einen als „eng“ erlesen mag, bedeutet für mich vor allem eins: Eine enorme Sicherheit. In diesem Rahmen aus Ehe, Familie, Beruf und Eigenheim kann ich mich sehr frei bewegen und entfalten, da ich die Gewissheit habe, im Falle eines hoffentlich nie eintreffenden Notfalls immer weich zu fallen. Selbstverständlich akzeptiere und verstehe ich aber auch jeden Menschen, der anders leben möchte und freue mich immer über spannende Erlebnisberichte von Schüler:innen und Freunden.

Mein Vater hat mir über ein umfassendes Songtext-Wissen der Lieder Wolfgang Petrys hinaus (diese liefen immer im Hintergrund, während wir gemeinsam gepuzzelt haben) einen besonders wichtigen Satz mitgegeben:“ Das, was andere über Dich denken, sollte nicht Deinen Charakter formen“. Sehr wichtig hingegen ist mir, was ich selber über mich und mein Handeln denke. Meines Erachtens ist die Fähigkeit zur Selbstreflektion maßgeblich dafür, möglichst vielen Menschen gerecht zu werden und somit eine Schlüsselkompetenz für alle Bereiche des Lebens. Wobei ich gestehen muss, die Notwenigkeit für einen Perspektivwechsel erst im Referendariat erkannt zu haben – da ich auf einem Dorf groß geworden bin, in dem sich mehr oder weniger alle in derselben Wertglocke befinden und ältere Menschen per se ob ihrer größeren Lebenserfahrung Recht haben, war dies zuvor schlichtweg nicht notwendig. Mensch lernt nie aus! Insbesondere als Lehrer ist man immer Lerner. Eines der Dinge, die ich am Lehrberuf sehr schätze, da ich geistigen Stillstand ablehne. Dies war ein Kriterium während meines Ausschluss-Verfahrens in Punkto Berufswahl, zumal mir ein Praktikum in einer Stadtverwaltung hervorragend aufgezeigt hat, was ich n i c h t will: Mit einem „das haben wir schon immer so gemacht“ Prozesse verlangsamen und Arbeit liegen lassen. Fürchterlich! Da bin ich doch sehr viel lieber der dreijährigen Indoktrination meines damaligen Klassenlehrers gefolgt, der uns immer am Ende einer Stunde „Englisch und Geschichte sind unsere Lieblingsfächer“ hat sagen lassen. Gesagt, studiert.

Da ich selber sehr zielorientiert lebe, schätze ich es umso mehr, gemeinsam mit unseren SchülerInnen Lernziele zu erreichen. Wobei ich den SchülerInnen beharrlich in Erinnerung rufe, dass es sehr viel schwieriger ist, die Leistung von 15 Punkten auch tatsächlich zu halten, als denn sie einmalig zu erreichen. Ich habe überhaupt kein Problem damit, die Klasse nach einer mir gerade nicht geläufigen Vokabel zu fragen. Wie sonst sollte ich auch vermitteln, dass Fehler machen und Fragen stellen nicht nur akzeptiert, sondern gewünscht wird – was würde ich denn sonst tun, wenn mir im Unterrichtsgespräch mal wieder eine Englischvokabel nicht einfällt? Vielmehr mag ich unseren Austausch sehr – siehe Perspektivwechsel.

Selbiges gilt für meine Ehe. Wir ergänzen einander sehr gut beim Verfolgen unserer gemeinsamen und jeweiligen Ziele. Da mein Mann die handwerklichen Dinge am Haus abarbeitet, bin nun ich zum ersten Mal für das Kochen zuständig. Ich beschreibe es mal so: Da ist noch Lernpotential, die Gewürzwelt hat sich mir noch nicht vollends erschlossen. Zum Glück lerne ich gerne! Um ganz sicher zu gehen, dass das Lernen für uns kein Ende findet, sind in unserem Zuhause Kinderzimmer geplant.

Ich bin gespannt, was das Leben in Holzminden so für uns bereithält!

Im August 2023