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Dank meiner Zeit am Internat Solling, insbesondere dank der wunderbaren Pädagogik der beiden (Lehrer-) Ehepaare Zuckschwerdt und Herrenbrück, ist es mir gelungen, meine unbändige Energie in positive, verantwortungsvolle Bahnen zu lenken. Ich bin davon überzeugt, dass ich ohne das LSH maximal mit mittlerer Reife die Schule beendet oder gar eine illegale Karriere angestrebt hätte! Der frühere „Braitmops“ mit Klassenclown–Qualitäten ist heute ein schriftstellernder Gutachter, der über viele Jahre in Krisengebieten und entsprechend gefährlichen Situationen für die Wirtschaft (zum Beispiel den ICC Paris), für Versicherungen und auch für Regierungen tätig war, bzw. ist.

Nach einem kurzen Ausflug in ein BWL- Studium habe ich nach einer Kurzlehre zum Bierbrauer im Anschluss daran an der TU München Brauwesen studiert und war auch einige Jahre lang international im Management dieses Umfelds tätig. Ostasien, der vordere Orient… meine Flugmeilen waren durchaus sehenswert! Als ich dann im Jahre 1980 in den Krieg zwischen Iran und Irak geraten und nur auf sehr abenteuerlichen Wegen aus dem Kriegsgebiet rausgekommen bin, hat meine damalige Frau berechtigt ihr Veto eingelegt. So zogen wir erst nach Österreich, wo ich Betriebsleiter einer Brauerei wurde und später, als die Kinder eingeschult werden sollten, zurück nach Deutschland. Um meinen unruhigen Geist zu beschäftigen, schrieb ich mich neuerlich an einer Universität ein und studierte berufsbegleitend in Geisenheim Önologie. Mit meinem Diplom in der Tasche habe ich mich anschließend als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger und juristischer Gutachter für Maschinen und betriebliche Einrichtungen selbstständig gemacht. Was wiederum mit vielen Reisen verbunden war, da ich u.a. für das Schiedsgericht Paris gearbeitet habe. Leider zerbrach meine Ehe an diesen vielen Abwesenheiten. Neben meiner Selbstständigkeit als Gutachter/Sachverständiger (SVB) habe ich ein Unternehmen aufgebaut (Braitinger & Partner), in welchem ich spezielle Beratung im technischen Anlagenbau anboten habe, und zudem eines, dessen Schwerpunkt die technische Unternehmensberatung ist (SCB GmbH). Die zuvor bereits erwähnte unbändige Energie wollte darüber hinaus kanalisiert werden und so nahm ich den losen Lebensfaden des unvollendeten BWL-Studiums in der Form wieder auf, dass ich 25 Jahre später am PhD Programm der Mendelova Business und Management Universität teilgenommen habe. Meine fertige Doktorarbeit habe ich leider nie eingereicht, die liegt noch in einer Schublade. Zu meiner großen Freude ist meine jüngste Tochter in meine beruflichen Fußstapfen getreten. Auch sie ist öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige im Bereich Verpackungs- und allgemeiner Maschinenbau.

Geballtes Leben. Im Laufe dessen ich unglaublich viel, zum Teil auch Unglaubliches erfahren durfte und musste. Unvergessen ist mir das Jahr 1979, wo es derzeit für das Fernsehen Exekutionen am Strand von Lagos gab. Die wurden dann nachmittags zwecks Abschreckung und Einschüchterung der Bevölkerung zwischen den Kindersendungen ausgestrahlt. Wahnsinn! Mit derart schlimmen Situationen umzugehen war immer wieder schwer für mich, aber aufgrund meiner Spezialausbildung zu Schäden, die durch Brand und Explosionen entstanden sind, leider immer wieder notwendig.
Hierzu zwei markante Beispiele: Ich war im Auftrag des ICC im Jemen und 8 Tage nach Ende des Balkankrieges im Auftrag einer Investitionsbank in Serbien unterwegs. Jüngstes, wohl uns allen gut ins Gedächtnis eingebrannte Erlebnis: Das Jahrhundert-Hochwasser im Ahrtal im Jahr 2021, wo ich im Auftrag einer großen Versicherung tätig war. Dort war die Urgewalt von Wasser sehr eindrücklich sichtbar. Das Gefühl, auf einer Brücke zu stehen, unter der Polizeitaucher Autos daraufhin markierten, ob sie menschenleer waren – diese bekamen eine 0 auf das Autodach gezeichnet -, oder nicht…das vermag ich kaum in Worte zu fassen. Umso kostbarer war insbesondere in dieser Zeit der Rückhalt meiner lieben LSH-Zeitgenossen, mit denen ich über WhatsApp in engem Kontakt stand (und stehe) und Erlebtes teilen konnte.

Von manchen der Begebenheiten meines Berufslebens träume ich noch immer.
Zu meinem großen Glück erwache ich morgens auf Sylt, wo ich seit einigen Jahren mit meiner wunderbaren Lebensgefährtin Silke wohne. Als geschulte Pädagogin kann sie sehr gut mit mir kuriosem Typ und meinen Macken umgehen! Auch sie reist gerne, und so begleitet sie mich auf meinen Recherchereisen. Neben kleinen Reiseberichten, die ich unter dem Pseudonym „Reisemichel“ mit spitzer Feder verfasse, arbeite ich derzeit an einem historisch angelehnten Roman, dessen Protagonist sich über den Libanon, Griechenland, Italien und die Provence nach Portugal bewegt. Da ich das Mediterrane liebe, genieße ich das Nachspüren dieser Kulturen sehr! Doch auch ein erster Kaffee auf unserer Terrasse, umgeben von meinen mediteranen Kräutern, mit Nordsee in Nase und Ohren – das sind kleine, große Glücksmomente.
Nach rund 35 Jahren beruflicher Tätigkeit im Dienste der Juristerei habe ich so manches Mal erleben müssen, wie aus egoistischen und/oder kapitalistischen Gesichtspunkten heraus Wahrheiten hingebogen und verdreht wurden. Da sitze ich doch nun gerne auf einer übersichtlichen Nordseeinsel, freue mich an unseren insgesamt 9 Enkeln und habe so gar keine Angst vorm Sterben, da ich ein derart knallvoll erfülltes Leben genießen durfte und darf.
Dank so manch eines „Tabak Konzils“ bei und mit Adam Zuckschwerdt, einiger mit stahlblauen Augen ruhig angeregten „dann werden wir uns mal Gedanken dazu machen“ von Eva Zuckschwerdt, einer Frau Herrenbrück, der ich trotz „Zwillings-Wochenbett“ Fragen zu einem Referat stellen durfte, und vielen anderen einmaligen LSH – Momenten und – Pädagogen, die meiner persönlichen Kursbestimmung dienten, verlief mein Leben größtenteils in unruhigen, aber guten Bahnen. Um dem Leben etwas Dankbarkeit zurückzugeben, bin ich ehrenamtlich in der Seenot-Rettung tätig und setze mich bei „Right for Water“ dafür ein, dass unsere Nachkommen sorgenarm Wasserhähne aufdrehen können.
Mein Leben ist im Fluss. Ich muss und möchte nun nicht mehr da sein, wo es brennt. Womit wahrlich nicht gemeint ist, dass ich fortan auf Sparflamme brenne!

 

im Dezember 2023