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Eine unserer Töchter hat mal zu mir gesagt: “Papa, wir sind Glücksmenschen!“. Das kann ich nur bestätigen, auch wenn – oder vielleicht gerade weil? – unser Leben nie gerade, sondern immer im Zickzack verlief.

Wenn ich etwas ganz besonders gut kann, so ist dies: Probleme beim Schopfe packen und lösen. Etwas „auf die lange Bank schieben“ hat es bei uns noch nie gegeben! Darüber hinaus war ich mir nie für eine Tätigkeit zu schade, sondern habe vielmehr immer das getan, was getan werden musste. Somit weist mein Lebenslauf ein Konglomerat aus Versicherungsmakler, Pflegevater von insgesamt 23 Kindern, Übersetzer und Dolmetscher, Kosmetik-Vertriebler und Ferienwohnungs-Vermieter auf.

Da das LSH damals bei der deutschen Gemeinde in Venezuela, wo mein Vater tätig war, „in“ war, wurde ich im zarten Alter von 12 Jahren in Begleitung eines Botschafts-Angehörigen über New York (damals gab es noch keine Direktflüge) nach Holzminden gebracht. Rückblickend hatte ich in der Kam Brückner die beste Zeit meines Lebens! Er uns immer den Rücken freigehalten und uns liebevoll geleitet. Um ein Beispiel zu nennen: Wir haben mit großem Elan im Wald ein Fort gebaut. Brü hat sich mit dem Förster in Verbindung gesetzt und damit erreicht, dass wir uns austoben konnten – und unsere Eltern die Rechnung für die Bäume, die unser Tun nicht überlebt haben, erhalten haben! Brü war Zeit seines Lebens mein Ersatzvater, wir haben ihm später mit einer Gruppe von Altschülern einen Computer hingestellt und eine Einweisung ins Internet für ihn organisiert, so dass wir leichter mit ihm in Kontakt bleiben konnten.

Mein Vater wurde von Caracas nach Bonn versetzt, das Auswärtige Amt übernahm demzufolge nicht mehr die Internatskosten und so musste ich leider 1966 das LSH verlassen. Es folgte eine eher unglückliche Zeit in Bad Godesberg. Umso größer die Freude, als mein Vater uns 1970 verkündete, dass er nach Bogota/Kolumbien versetzt wurde. Meine Eltern zogen noch Kolumbien, meine Schwester Sabine war im Studium und ich durfte wieder nach Holzminden! Leider war dieses Mal vieles anders. Ich hatte einen Konflikt mit einem Lehrer, der sich auch in meinen Noten niederschlug. Zudem hatte ich einen schweren Autounfall im Solling. Mir wurde nahegelegt, das LSH zum Schuljahreswechsel zu verlassen. Ein heftiger Lebenseinschnitt. Dennoch habe ich es diesem Ereignis nie zugestanden, über mein Leben zu bestimmen.

Es fand sich ein Privat-Gymnasium in Wiesbaden, das bereit war, mich aufzunehmen und an dem ich mein Abitur gemacht habe. Letztendlich hatte ich in Wiesbaden eine schöne Zeit, zumal ich meine Bärbel kennengelernt habe! Das LSH hatte indirekt seine Glücksfinger im Spiel – es war Altschüler Wolfgang Niemsch, der mich einlud, am Reiterball in Braunschweig teilzunehmen. Dort habe ich meine heutige Frau kennen und lieben gelernt. Nach einer Weile in Fernbeziehung suchte Bärbel sich eine Anstellung in Wiesbaden und wir verlebten eine wunderbare Zeit in einer winzigen, möblierten Wohnung unter dem Dach. Bärbel ging morgens zur Arbeit, ich ins Gymnasium. Nach einiger Zeit haben wir beschlossen zu heiraten, haben aber vorsichtshalber die Erlaubnis vom Schuldirektor eingeholt – unsere Eltern haben wir jedoch vor vollendete Tatsachen gestellt. Das ist jetzt 50 Jahre her.
Ich stieg erfolgreich in die Vermögensberatung ein, was mir ermöglichte, tagsüber unsere mittlerweile drei Kinder zu managen, während Bärbel eine Kosmetikschule besuchte. Abends übernahm sie dann zu Hause, während ich die Kundentermine wahrnahm.

Bis uns unsere Trauzeugin eines Abends anrief, um uns darüber zu informieren, dass sie nach Portugal auswandere. Ihr „da habe ich ein besseres Leben“ hat bei uns einiges in Bewegung gesetzt. So setzten Bärbel und ich uns kurzerhand in ein Flugzeug, schauten uns fünf Tage um und kamen mit einem neuen Zukunftsplan zurück. Portugal! Wenige Monate später zuckelten wir mit unseren drei Töchtern (die zum damaligen Zeitpunkt 1, 3 und 5 Jahre alt waren) in einem ehemaligen Taxi mit einem selbst optimierten, uralten Wohnwagen die 2000 Kilometer gen Süden und genossen ein unglaubliches Freiheitsgefühl.

Soldaten des Luftwaffenstützpunktes in Beja brauchten immer Gastfamilien, damit ihre Kinder die weiterführende Schule in im rund 180 km entfernten Lissabon besuchen konnten. Bärbel hatte schon immer Erzieherin werden wollen, ich hatte die wertvolle Internatserfahrung. Wir durften in unseren 16 Jahren in Lissabon insgesamt 23 Gastkinder in unsere kleine Familie aufnehmen. Mit vielen von ihnen stehen wir nach wie vor in engem Kontakt.
Der Vertrieb der Kosmetikprodukte des Unternehmens „Dr.Belter“ wurde ein zweites Standbein in Portugal, bis es unsere Töchter zum Studium nach Deutschland zog. So fügte es sich, dass wir als Familie nach Deutschland zurückkehrten, wo wir von Bärbels Mutter ein Gästehaus auf Sylt übernahmen und nunmehr seit 1997 gerne Gastgeber für Menschen sind, die Erholung und Entspannung an der Nordsee suchen.
Für unsere eigene Erholung und Entspannung zieht es Bärbel und mich als das Meer liebende Menschen auf Kreuzfahrtschiffe. Zudem genieße ich es, mich auf zwei Rädern fortzubewegen: Motorrad und Fahrrad.

Die Teilnahme am alljährlichen Altschüler-Treffen im Oktober ist für mich eine liebgewonnene Tradition, für die ich die Insel verlasse. Nicht immer, aber sehr häufig auf dem Motorrad.

Im September 2023