Marei Böddeker (geb. Hanecke; Lehrerin am LSH seit August 2022)

Nach den derzeitigen gesellschaftlichen Idealen werde ich wahrscheinlich als „langweilig“ bezeichnet.
Ich bin direkt im Anschluss an das Studium in den Beruf eingestiegen, habe mit 26 Jahren geheiratet und wir haben gerade ein Eigenheim erworben. Sehr große Partys mag ich zudem auch nicht sonderlich, vor allem da mir in größeren Menschengruppen die Gelegenheit zum wirklichen Austausch mit anderen fehlt. Sehr viel lieber spiele ich Gesellschaftsspiele mit Freunden. Auch wenn ich gerne mit meinem Mann reise, so brauche ich es nicht, die große, weite Welt zu erobern.
Was sich jetzt für manch einen als „eng“ erlesen mag, bedeutet für mich vor allem eins: Eine enorme Sicherheit. In diesem Rahmen aus Ehe, Familie, Beruf und Eigenheim kann ich mich sehr frei bewegen und entfalten, da ich die Gewissheit habe, im Falle eines hoffentlich nie eintreffenden Notfalls immer weich zu fallen. Selbstverständlich akzeptiere und verstehe ich aber auch jeden Menschen, der anders leben möchte und freue mich immer über spannende Erlebnisberichte von Schüler:innen und Freunden.

Mein Vater hat mir über ein umfassendes Songtext-Wissen der Lieder Wolfgang Petrys hinaus (diese liefen immer im Hintergrund, während wir gemeinsam gepuzzelt haben) einen besonders wichtigen Satz mitgegeben:“ Das, was andere über Dich denken, sollte nicht Deinen Charakter formen“. Sehr wichtig hingegen ist mir, was ich selber über mich und mein Handeln denke. Meines Erachtens ist die Fähigkeit zur Selbstreflektion maßgeblich dafür, möglichst vielen Menschen gerecht zu werden und somit eine Schlüsselkompetenz für alle Bereiche des Lebens. Wobei ich gestehen muss, die Notwenigkeit für einen Perspektivwechsel erst im Referendariat erkannt zu haben – da ich auf einem Dorf groß geworden bin, in dem sich mehr oder weniger alle in derselben Wertglocke befinden und ältere Menschen per se ob ihrer größeren Lebenserfahrung Recht haben, war dies zuvor schlichtweg nicht notwendig. Mensch lernt nie aus! Insbesondere als Lehrer ist man immer Lerner. Eines der Dinge, die ich am Lehrberuf sehr schätze, da ich geistigen Stillstand ablehne. Dies war ein Kriterium während meines Ausschluss-Verfahrens in Punkto Berufswahl, zumal mir ein Praktikum in einer Stadtverwaltung hervorragend aufgezeigt hat, was ich n i c h t will: Mit einem „das haben wir schon immer so gemacht“ Prozesse verlangsamen und Arbeit liegen lassen. Fürchterlich! Da bin ich doch sehr viel lieber der dreijährigen Indoktrination meines damaligen Klassenlehrers gefolgt, der uns immer am Ende einer Stunde „Englisch und Geschichte sind unsere Lieblingsfächer“ hat sagen lassen. Gesagt, studiert.

Da ich selber sehr zielorientiert lebe, schätze ich es umso mehr, gemeinsam mit unseren SchülerInnen Lernziele zu erreichen. Wobei ich den SchülerInnen beharrlich in Erinnerung rufe, dass es sehr viel schwieriger ist, die Leistung von 15 Punkten auch tatsächlich zu halten, als denn sie einmalig zu erreichen. Ich habe überhaupt kein Problem damit, die Klasse nach einer mir gerade nicht geläufigen Vokabel zu fragen. Wie sonst sollte ich auch vermitteln, dass Fehler machen und Fragen stellen nicht nur akzeptiert, sondern gewünscht wird – was würde ich denn sonst tun, wenn mir im Unterrichtsgespräch mal wieder eine Englischvokabel nicht einfällt? Vielmehr mag ich unseren Austausch sehr – siehe Perspektivwechsel.

Selbiges gilt für meine Ehe. Wir ergänzen einander sehr gut beim Verfolgen unserer gemeinsamen und jeweiligen Ziele. Da mein Mann die handwerklichen Dinge am Haus abarbeitet, bin nun ich zum ersten Mal für das Kochen zuständig. Ich beschreibe es mal so: Da ist noch Lernpotential, die Gewürzwelt hat sich mir noch nicht vollends erschlossen. Zum Glück lerne ich gerne! Um ganz sicher zu gehen, dass das Lernen für uns kein Ende findet, sind in unserem Zuhause Kinderzimmer geplant.

Ich bin gespannt, was das Leben in Holzminden so für uns bereithält!

Im August 2023

Wolfgang Mitgau (LSH 1961 – 1971 und 1995 – 2020)

Schon während meines Studiums in Göttingen konnte ich mir eine Lehrertätigkeit an einer „normalen“ Schule – 23 Schulstunden Deutsch und Sport – nicht vorstellen, und so dachte ich über Alternativen nach. Ich besuchte die Lietzheime, die Odenwaldschule und lernte auch Schondorf und Marienau kennen.

Als es dann Ernst wurde und ich die Referendarsausbildung in Braunschweig beendet hatte, wandte ich mich dem Landschulheim zu. Ich kannte den Leiter, Herrn Dr. Erbe, vom Pädagogischen Seminar in Göttingen her. Wir kamen ins Gespräch und vereinbarten, dass ich nach der Referendarszeit nach Holzminden kommen sollte. So zog ich mit meiner Kleinfamilie – Ursula war gerade geboren – im November 1961 ins Vorwerk ein.

Das Leben im Landschulheim hatte eine feste Form.
Der Tag begann nach dem Frühstück mit der „Morgensprache“ in der Hohen Halle, dann – natürlich – Unterricht, nach dem Mittagessen Versammlung, „Stille Stunde“, ein oder zweimal in der Woche Werk (Tischlerei, Schmiede, Weberei oder Arbeit in der Landwirtschaft oder Gärtnerei) – was von einigen abgelehnt, von anderen eifrig aufgenommen wurde – und die Arbeitsstunde bis zum Abendessen. Die Jungen hingegen wollten mehr Freizeit, einfach mal Nichtstun. Radios waren nur am Wochenende erlaubt, Computer gab es sowieso noch nicht. Am Wochenende waren wir oft unterwegs. Ich erinnere mich an Fahrten nach Wilhelmstal (bei Kassel), immer mit dem Fahrrad, an Paddeltouren auf der Weser, an eine nächtliche Wanderung in den Solling, bei der uns ein fürchterliches Gewitter überraschte und wir nicht schnell genug nach Hause kommen konnten. Dann die „große Wanderung“, sie führte in den Harz, nach Schleswig-Holstein und Franken. Das Kameradschaftssportfest, der Orientierungslauf und die Herbststaffette waren Unternehmungen des ganzen Heims.

Hausleiter im Vorwerk war Fritz Winkel. Er war seit 1920 im Landschulheim. Das LSH war sein Leben. Er war klar in seiner Meinung und eindeutig in seiner pädagogischen Haltung. Ich schätzte ihn sehr und habe viel von ihm gelernt – wenn auch nicht alles. Er war kein Mann des Gesprächs, seine Rede war ja ja – nein nein. Fritz Winkel verkörperte den LSH-Geist, von dem allerdings niemand so recht genau wusste, was damit gemeint war.
Aber dennoch: Der LSH Geist wohnte in der Hohen Halle. Er verkörperte sich in der Musik, im Theaterspiel, im Vortrag. Die Hohe Halle war der Mittelpunkt der Gemeinschaft.
Zu meiner Zeit als Lehrer wurde die Hohe Halle noch schweigend betreten, es durfte nicht geklatscht werden; auch liefen das Betreten und Verlassen der Halle sehr geordnet ab. Was streng und einschüchternd klingt, unterstrich aber auch den feierlichen und ernsthaften Charakter der Veranstaltungen. Zum damaligen Zeitpunkt gab es an vier Tagen in der Woche Morgensprachen und am Donnerstag und Sonntag Abendsprachen, häufig mit namhaften Gästen.

Die Stärke des Landschulheims war, dass sehr viele Mitarbeiter und insbesondere auch die Frauen sich mit dem Heim identifizierten und die Traditionen lebten.

Es gab im LSH vier pädagogische Bausteine: die Musik, die Wanderungen, das Handwerk, die Gemeinschaft – die Gemeinschaft in der Hohen Halle, in der Versammlung, im Leben der Kameradschaft.

Das Handwerk spielte auch deshalb eine Rolle, weil es im Abitur als Prüfungsfach im Rahmen der Kunst gewählt werden konnte. In diesem Rahmen entstanden Werkstücke vor allem in der Schmiede und in der Tischlerei. Sogar im Stall fand eine Prüfung statt, bei der der Abiturient seine landwirtschaftlichen Fähigkeiten beim Melken einer Kuh vor der Prüfungskommission unter Beweis stellte.

Nach sechs Jahren im Vorwerk ging ich für ein Jahr ins Mittelhaus und übernahm dann 1968 die Hausleitung im Unterhaus mit einer Magisterkam von Jungen und Mädchen. Insbesondere mit ihnen war es ein Umgang auf Augenhöhe und mit viel Vertrauen. Ich erinnere mich auch hier an unsere Provencefahrt, eine Fahrt ins Elsass und auch wieder eine Bootsfahrt auf der Weser.

Habe ich eingangs gesagt, dass mir die öffentliche Schule zu eingefahren und reformunwillig erschienen war, so erlebte ich im Landschulheim das Gegenteil. Hier waren die Studientage eingerichtet worden. Deutsch und den Sprachen (vielleicht auch Mathematik und den Naturwissenschaften) stand wöchentlich ein ganzer Tag zur Verfügung. Man traf sich am Vormittag und besprach Aufgabenstellungen zu einem Text, den jeder in der Woche zuvor gelesen hatte. Am Nachmittag traf man sich wieder und nun wurden die bearbeiteten Aufgaben besprochen. Es war eine sehr konzentrierte Arbeit und es blieb zusammen, was zusammengehörte. Diese Arbeitsweise empfand ich als außerordentlich befriedigend. Später erarbeitete eine Gruppe von Lehrern unter der Leitung von Herrn Dr. Erbe eine weitere Reform mit der Wahl von Leistungs- und Grundfächern, was dann nach behördlicher Genehmigung als ‚Holzmindener Modell‘ gehandelt wurde. Als das Kultusministerium einige Jahre später eine ähnliche Reform einführte, ging das Landschulheim-Modell in diese Reform über.
Die 1960er waren auch die Zeit des Ausbaus der Sportstätten. Aus dem rohen Mauerwerk der ungeheizten, alten Reithalle wurde eine gut ausgestattete Sporthalle. Danach entstand im Mittelteil der Giftschonung der neue Sportplatz mit der schönsten Lage im ganzen Landkreis Holzminden.

Wir waren 1961 zu dritt ins Landschulheim gekommen, in den nächsten Jahren folgten Katharina und Peter. Das Landschulheim verlangte mir viel Aufmerksamkeit ab. So blieb nicht viel Zeit für die Familie, es gab keine gemeinsamen Mahlzeiten und stattdessen viel Abwesenheit meiner Person.
Unsere Familie wäre kläglich gescheitert, wenn meine Frau Cornelie sie nicht zusammengehalten hätte und für die Kinder da gewesen wäre. Sie kümmerte sich um alles.
Familie ohne Vater war wohl auch ein Grund, weshalb wir nach 10 Jahren das Landschulheim verließen.
Es war aber formal auch so, dass ich beurlaubter Beamter war. Und dieser Urlaub war auf 10 Jahre befristet. Ich hätte mich also endgültig für das Landschulheim entscheiden müssen – und das wollte ich nicht. Dabei spielte die Veränderung des Landschulheims durch die Auswirkung der 68er-Bewegung eine Rolle. In meinen Augen sinnvolle Gepflogenheiten wurden abgeschafft, das Vertrauensverhältnis zwischen Lehrern und Schülern schwand.

Ich erhielt das Angebot, Gründungsschulleiter eines Gymnasiums in Neu-Wulmstorf zu werden. Dieser Ort, zwischen Hamburg und Buxtehude gelegen, ist nicht so schlimm wie sein Name. Also verließ ich das Landschulheim und ging im Sommer 1971 nach Neu-Wulmstorf. Wir begannen mit 70 Schülern in zwei Klassen und zwei Baracken und „allem Anfang wohnt ein Zauber inne“ … Mit den Jahren wuchsen wir auf über 1000 Schüler und bekamen ein großes Schulgebäude. Das waren nun ganz andere Erfahrungen. (Als ich im Landschulheim Oberstudienrat wurde, sagte Dr. Erbe zu mir: „Herr Mitgau, das passt eigentlich gar nicht zu Ihnen.“ Was hätte er wohl zum Oberstudiendirektor gesagt?) In dieser Pionierzeit habe ich vor allem eines gelernt: Hat ein Schulleiter ein gutes Kollegium, so lehrt auch dieses ihn viel.

1990 trennte ich mich von meiner Frau und wurde 1993 pensioniert. Ich zog daraufhin wieder nach Holzminden und lebte mit Roswitha Lehmann zusammen. Wir sollten 30 Jahre gemeinsam zu leben haben. 1995 ergriff Herr Seiler die Initiative zum Aufbau des LSH-Archivs. Er rief einige Mitarbeiter zusammen, dabei auch Roswitha Lehmann, und sie sagte zu mir: „Komm doch mal mit.“ Es wurde dann viel besprochen, das Wie und das Was – und plötzlich sah mich Herr Seiler an und sagte: „Herr Mitgau, Sie habe doch Zeit, kennen auch das Landschulheim. Wollen Sie die Arbeit nicht übernehmen?“ So kam ich zur Archivarbeit. Auf dem Dachboden des Unterhauses befanden sich 120 Umzugskartons mit Dokumenten, Schriften, Papieren. 60 Kartons wurden in die Räume des zukünftigen Archivs ins Trillofsche Haus gebracht, das das Landschulheim nach dem Tod von Dr. Triloff übernommen hatte. Ich begann auszupacken und es entstand ein großes Durcheinander. Ich bin schließlich kein ausgebildeter Archivar! Da wandte ich mich an den Stadtarchivar der Stadt Holzminden, Dr. Seliger, und holte mir Rat. Ich suchte Sachgebiete, bildete Stapel von Akten und das erste, was ich lernte: Keine Akte, kein Papier findest Du wieder, wenn Du es nicht mit einer Signatur versehen hast und ein Verzeichnis anlegst. Ich begann die Unterlagen zu ordnen und diese Tätigkeit nahm in all den Jahren kein Ende. Die Vereinigung der LEHs hatte damals Arbeitsgruppen eingerichtet, Fortbildungsgruppen für ihre Mitarbeiter für verschiedene Bereiche. So auch eine für Geschichte und Archive. Es sammelten sich die Archivbetreuer von etwa zehn Landerziehungsheimen und unter der kompetenten Leitung von Hartmut Alphei tagten wir regelmäßig einmal im Jahr. Tagungsort war jedesmal eines der Landerziehungsheime. Wir tauschten unsere Erfahrungen und Anregungen aus und besuchten jedesmal eines der großen öffentlichen Archive – in Wolfenbüttel, Hannover, Berlin, Fulda, Marburg und sonst wo. Das waren für mich wertvolle Hilfen.
Die Landerziehungsheime hatten vereinbart jeweils ihre NS-Vergangenheit aufzuarbeiten – eine 10 Jahre alte Vereinbarung. Das LSH hatte (wie andere auch) noch nichts dazu vorzuweisen. Herr Seiler meinte „Machen Sie mal“.
Ich wälzte unsere Unterlagen, befragte Zeitzeugen, befragte auch andere Landerziehungsheime und recherchierte in den staatlichen Archiven in Wolfenbüttel, Berlin, Koblenz und Marbach. 1998 kam das Heft heraus. Jeder kann es sich besorgen und lesen.

Die Devise der Archivarbeit lautet: sammeln – ordnen – forschen. Ich sammelte, was irgendwie einen Bezug zum Landschulheim hat und legte Findbücher an für Bücher, Handschriftliches und Fotos und wertete das Material aus. Der Veröffentlichung über das Landschulheim in der NS-Zeit folgte die „Chronik“ über die Zeit von 1909-1999. Dann erschien 2003 „Ein Weg durch das Landschulheim am Solling, ein historischer Rundgang“. Dazu kamen viele Artikel, meist veröffentlicht in der Giftschonung. Ich habe all diese Arbeiten mit viel Freude gemacht.

In den letzten Jahren wurden meine Augen so schlecht, dass ich am Ende nicht mehr lesen konnte. So endete meine Tätigkeit im Archiv im Jahre 2020 – nach 25jähriger Archivarbeit. Ich komme also insgesamt auf 35 Jahre Mitarbeit am Landschulheim. Nach dem Tod von Roswitha Lehmann zu Anfang des Jahres 2022 lebe ich nun als Rentner noch immer am Goseberg 34, in unmittelbarer Nachbarschaft des Landschulheims.


im Juni 2023

Katrina Mertz (Lehrerin am LSH seit 2020)

Die Neugierde auf andere Länder, andere Menschen, Sprachen und Kulturen hat mein Leben schon immer maßgeblich bestimmt.

Aufgewachsen bin ich bei meinen Adoptiveltern im Lincoln, Nebraska. Nebraska und die USA werden für mich zwar immer meine Heimat bedeuten, aber es hat mich schon immer nach Europa gezogen. Es kann durchaus sein, dass dem so ist, weil ich in Rumänien geboren wurde. Richtig dort gelebt habe ich nicht, da ich im Alter von 6 Monaten aus einen Waisenheim adoptiert wurde. Tatsächlich bin ich dankbar dafür, zur Adoption freigegeben worden zu sein. Meine leibliche Mutter war zu dem Zeitpunkt 17 Jahre jung und die Lebensumstände in Rumänien direkt nach der Diktatur mehr als schwierig. Mittlerweile stehen meine leibliche Mutter, meine zwei leiblichen Halbschwestern und ich glücklicherweise im lockeren Kontakt.

Von jungem Alter an war mir in den Staaten in Vielem das Denken und Handeln zu eng. Mir war früh wichtig unabhängig zu sein. Daher habe ich seit meinem 14. Lebensjahr gejobbt und auch neben High-School und College immer gearbeitet. Damit habe ich mir meine Freiheit erarbeitet. Da es mir immer leichtgefallen ist, für die Schule zu lernen, konnte ich nicht nur die High-School im Alter von 17 ein Jahr früher abschließen, sondern auch das BA Studium (wofür ich Stipendien erhalten habe) in meinem letzten Jahr an der High-School bereits durch Onlinekurse beginnen. Mein Antrieb war, so schnell wie möglich woanders leben zu können. Ich war neugierig auf die Welt und wollte mich von meinen Eltern unabhängig machen.

2009 brachte mich die Liebe nach Deutschland. Meinen deutschen Mann (damals noch mein Freund) habe ich in einem „History of South Africa“ – Seminar kennen gelernt, während er mit dem Fulbright-Programm ein Jahr an meiner Uni in Lincoln verbracht hat. Als ich nach Deutschland kam, habe ich im ersten Jahr täglich Deutsch an einer Sprachschule in Hannover gelernt. Zudem habe ich in Hannover sechs Jahre lang Englisch unterrichtet, mein Masterstudium absolviert und meine ersten zwei Kinder zur Welt gebracht.

Zum Glück konnte ich mein Studium und meine berufliche Tätigkeit in Hannover mit meiner Reiselust und meinem Interesse an anderen Kulturen kombinieren. Ich habe unter anderem bei der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen gearbeitet und hatte dort mit Menschen aus vielen Ländern der Welt zu tun. Mein Organisationstalent kam voll zum Tragen, als ich an Projekten und Tagungen beteiligt war, durch die ich viel in der Welt unterwegs sein durfte – wie zum Beispiel Kuba, Südkorea, der Schweiz und Indien. Für mich war das eine sehr wertvolle und lehrreiche Zeit. Nach der Geburt meines dritten Kindes habe ich glücklicherweise das Stellenangebot des Internats Solling entdeckt und mich beworben.

Lehrerin am Internat Solling sein zu können, bereitet mir große Freude. Die Schüler:innen sind aufgeweckt, das Kollegium toll und das Gelände ist natürlich wunderschön. Am Internat Solling kann ich meine Erfahrungen einfließen lassen und jungen Menschen den Weg in die Welt sprachlich sowie kulturell erleichtern. Neben dem Unterricht gilt dies auch für die zwei AGs, die ich momentan leite. Erstens leite ich seit zwei Jahren die Zumba AG beim LSH. Zumba ist eine Kombination aus Tanz und Sport mit temporeicher Musik, die oft aus dem Spanischen kommt. Hier können die Schüler:innen nicht nur Spaß an Tanz und Bewegung erleben, sondern auch Musik und manche Tanzschritte aus u.a. Lateinamerika kennenlernen. Zweitens engagiere ich mich seit diesem Schuljahr (2022/2023) zusammen mit meiner Kollegin Frau Loske in der UN-AG bzw. “Model United Nations” (MUN). MUNs gibt es überall auf der Welt. Sie bieten Schüler:innen die Möglichkeit, sich während einer Tagung mit der Arbeit und den Strukturen der UN vertraut zu machen indem UN-Sitzungen simuliert werden. Dies findet auf hohem englischen Sprachniveau statt. Ich selbst durfte als MA-Studierende an mehreren MUNs teilnehmen und habe die dortigen Erfahrungen, Eindrücke und natürlich auch den Spaß als sehr bereichernd empfunden. Daher freut es mich besonders, die interessierten LSH-Schüler:innen bei ihrer Teilnahme an der MUN in Den Haag unterstützen zu können und damit gleichzeitig eine lange LSH-Tradition zu pflegen.

Ein absolutes Highlight dieses Schuljahres war für mich, dass ich in den Osterferien 2023 die Möglichkeit hatte, mit zehn Schüler:innen des Internats in die USA zu reisen. Da wir in meiner Heimatstadt waren, konnte ich gut auf mein dortiges Netzwerk zurückgreifen und ihnen ein breites Spektrum von High-Schools, kulturellem Angebot, dem alltäglichen Leben und selbstverständlich auch der lokalen Küche (ich liebe scharfes und „Tex Mex“ Essen) bieten. Es war für mich eine sehr berührende Erfahrung, unsere Jugendlichen an den Orten zu erleben, die ich selber als Jugendliche erlebt habe. Ich selbst hatte die Chance in meinem Leben, so viele Länder zu sehen und die Welt entdecken zu können – für mich ist es wertvoll, dies den Schüler:innen ebenfalls zu ermöglichen und sie dadurch auf ihre Zukunft vorzubereiten. In meinen Augen ist interkulturelle Kompetenz ein wesentlicher Life Skill. Wie Suzy Kassem sagt: “Understanding languages and other cultures builds bridges.”

 

im Mai 2023

Philipp Graf von Francken-Sierstorpff ( LSH 1982 – 1987)

Es hat volle acht Jahre in Thailand gebraucht, um mich erkennen zu lassen: Meine Wurzeln sind deutsch, hier in Deutschland empfinde ich ein tiefes Heimatgefühl. Dies soll auf keinen Fall die acht Jahre Thailand schmälern – ich habe dort eine wichtige und schöne Zeit verlebt und tolle internationale Freundschaften geschlossen. Doch genieße ich es jetzt seit rund zwei Jahren sehr, wieder in die Vertrautheit jahrzehntelanger LSH-Freundschaften einzutauchen, in räumlicher Nähe zu meiner Familie zu leben, in meiner Muttersprache zu kommunizieren und dass deutscher Wein hier auch schlichtweg am besten schmeckt! Mal ganz abgesehen von Brot, Wurst und Käse. Zudem ist es ganz wunderbar, wieder einen Wechsel von Jahreszeiten zu erleben! Überdrüssig der vielen Sonne und hoher Temperaturen in Thailand erscheint mir heute ein kühler, verregneter Tag in Deutschland mindestens genauso lebenswert.

Der Prozess, der mich nach Thailand geführt hat, war ein eher schleichender. Obgleich ich vom Karriere-Standpunkt aus gesehen erfolgreich war, breitete sich eine diffuse Unzufriedenheit in mir aus. Als Finanz-Ökonom (ebs) und Dipl. Kaufmann war ich einer der ersten 400 Financial-Planer Deutschlands. Nach rund 10 Jahren bei der damals renommierten Privatbank Sal. Oppenheim & Cie. im Strategie-Management war ich später im Family Office derselben Bank als Berater tätig. Das war eine spannende Aufgabe, nur keine, mit der ich etwas Bleibendes, Greifbares erschaffen konnte; letztendlich war es schlichtweg Beratung. So auch bei der Eyb & Wallwitz Vermögensverwaltung, bei der ich im Anschluss als Partner tätig war und Investmentfonds aufgelegt habe. Der Wunsch nach etwas Anderem wuchs beständig und so haben mein damaliger Partner und ich Kisten und Koffer mitsamt unserem Hund Bruno, ein Magyar Viszla, gepackt. Weg von der deutschen Überreguliertheit und dem nasskalten Wetter.

Über den guten Abstand zu vielen Störfaktoren hinaus hat Thailand mir zwei weitere, sehr wichtige Dinge beschert: Zum einen die Entdeckung des Suar-Holzes, dessen faszinierende Optik mich direkt in seinen Bann gezogen hat. Ich war derart schockverliebt in diese massiven Holzplatten, dass ich mir einen Esstisch für mein Esszimmer habe anfertigen lassen. Dieser hat wiederum eine Kettenreaktion hervorgerufen: Anlässlich meines 50. Geburtstages tafelten wir mit Freunden daran. Altschüler und Freund Timo Singer fand den Tisch derart schön, dass er umgehend einen bestellt hat. Weitere Bestellungen folgten und so wurde „Conte Caserta“ geboren. Ich habe 2015 einen Business-Plan erstellt. 2018 standen wir zum ersten Mal auf der Internationalen Möbelmesse Imm Cologne in Köln. Nun, im Jahre 2023, stehen Tische von uns bei Menschen auf der ganzen Welt. Natürlich haben wir auch einige prominente Kunden, die man aus Sport, Film und Presse kennt. Um nur zwei Namen zu nennen: Arnold Schwarzenegger und das schwedische Königshaus speisen an unseren Tafeln, die durchaus auch mal eine Länge von 10 Metern erreichen können.

Damit auch Menschen mit kleinerem Budget in den Genuss eines unserer Tische kommen können, bieten wir seit Kurzem mit der City Collection kleine Versionen unserer Tische in verschiedenen Längen bis zu 200 cm an. Selbstverständlich sind die Tischplatten auch hier immer aus nur einer Scheibe Holz gefertigt und ebenso fein geschliffen wie ihre großen, exklusiven Brüder der Signature Collection.
Alle Tische können über unseren Conte Caserta Online Shop erworben werden.

Kürzlich haben wir einen 500×140 cm großen Tisch an Altschüler Dr. Holger-Ludwig Riemer ausgeliefert – da bedarf es schon einmal neun starker Männer, um das edle Stück an seinen vorgesehenen Platz zu bringen! Ich versuche, bei der Auslieferung derart wertvoller Stücke immer persönlich dabei zu sein – zum einen zur Qualitätskontrolle (meist öle ich den Tisch nach dem Aufstellen noch einmal frisch ein), zum anderen aus einem durchaus egoistischen Grund: Es ist einfach so toll, die Freude auf den Gesichtern der neuen Besitzer zu sehen! Der Satz “Der Tisch ist ja in echt noch viel schöner als auf den Bildern!“ ist mir Lohn für jede Mühe.

Das andere, lebensprägende Geschenk aus der Zeit in Thailand sind meine beiden Hunde Paul und Paula, die von unserem Bruno und der wunderschönen Golden Retriever-Dame unseres Nachbarn gezeugt wurden. Tragischerweise sind vier der sechs Welpen aus dem Wurf aufgrund bakteriell verseuchter Muttermilch binnen einer Woche nach der Geburt an Organversagen verstorben. Wir haben ohne lange zu überlegen die beiden überlebenden Welpen adoptiert und mithilfe importierter Welpenmilch im Drei-Stunden-Takt rund um die Uhr von Hand aufgezogen. Das hat eine derart enge Bindung geschaffen, dass wir sie nicht mehr abgeben wollten. Auch wenn nie geplant war, drei Hunde zu haben, will und kann ich mir ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen. Die Gang ist fester Bestandteil meines Lebens geworden. Paul & Paula leiden unter HD, einer genetisch bedingten Schiefstellung der Hüftgelenke. Zur Stärkung der Muskulatur ihres Bewegungsapparates habe ich mir angewöhnt, von Mai bis Oktober jeden Morgen gemeinsam mit allen drei Hunden einen nahe gelegenen, ca. 1 km breiten See zu durchschwimmen – natürlich soll davon auch meine eigene Figur profitieren.

Reelle, greifbare Freuden. Ich bin sehr gerne da im Leben, wo ich jetzt gerade bin. Unmittelbar an unser Grundstück grenzt ein Wald für ausgedehnte Spaziergänge. Wir genießen dieses herrlich naturnahe Leben in Bergisch Gladbach bei Köln sehr. Ich arbeite mit tollem Material, das ich stets persönlich auswähle und sorge dafür, dass andere Menschen einen individuellen, von der Natur gezeichneten Versammlungsort haben, an dem genossen, gelacht, gefeiert, getafelt, gestritten, geschwiegen, gespielt, gearbeitet, gelebt und erzählt wird.

Da das LSH maßgeblich daran beteiligt war und ist, dass ich ein glücklicher und zufriedener Mensch bin, war es mir eine Herzensangelegenheit, dass dort einer unserer Tische steht und so habe ich diesem mir so wichtigen Ort einen Tisch geschenkt. Wer durch die Chorhalle geht, kann dort sehen, was derzeit der Mittelpunkt meines Arbeitens ist. Berührt ihn mal, das ist magisch.

Im Mai 2023

(*1966, † 2024)

Dipl.Ing.agr. Sabine von Randow (geborene Sommer-Moll, LSH von 1969 . 1972)

Soziales Engagement war mir schon immer eine Herzensangelegenheit. Dank meines ausgeprägten Einfühlungsvermögens fällt es mir leicht, zu erspüren, was Menschen guttut und mich dafür stark zu machen. Somit war ich Zeit meines Erwachsenenlebens ehrenamtlich tätig. Auch beruflich habe ich mich dafür eingesetzt, anderen Menschen ein gutes Lebensumfeld zu schaffen. Mittlerweile sorge ich nunmehr in unserem Schrebergarten gemeinsam mit meinem Mann dafür, dass Pflanzen wachsen und gedeihen.

Während unseres einvernehmlichen Werkelns im Garten schweifen meine Gedanken häufig in das LSH ab, da wir aus Kam Lehmann so manch einen schönen Kam-Abend im Gartenhäuschen der Familie Lehmann verlebt haben. Nicht allein meine Naturverbundenheit hat am Internat ihren Anfang genommen, auch mein soziales Engagement – ich habe gerne Nachhilfe gegeben. Die wohl größte persönliche Bereicherung meiner Zeit in Holzminden waren die Erzählungen unserer internationalen Mitschüler, die mir dadurch eine völlig neue Welt eröffnet haben. Was habe ich sie um ihre Zweisprachigkeit beneidet, wie sehr habe ich es genossen, durch die Berichte von Dorita Schael gedanklich in Mexiko sein zu können! Ich muss meinen Eltern sehr davon vorgeschwärmt haben, so dass sie mir zum bestandenen Abitur völlig überraschend eine Reise nach Mexiko geschenkt haben. Welch große Freude! Neben dem Absolvieren eines Sprachkurses habe ich in einer Sozialstation gearbeitet, wo wir Lebensmittelpakete für alleinerziehende Mütter zusammengestellt haben und den Ärzten zur Hand gegangen sind. Darüber hinaus habe ich über die Mutter von Dorita Bekanntschaft mit Prof. Cremer, dem Gründer des ernährungswissenschaftlichen Institutes Gießen, gemacht. Nach einem gemeinsamen Besuch eines Vortrages im Rahmen eines Welterernährungskongresses stand für mich mein Zukunftswunsch fest: Ich wollte in einem Entwicklungsland tätig werden!

So habe ich mich für Ernährungswissenschaften in Gießen eingeschrieben, wo ich zunächst auch bei Familie Cremer wohnen konnte. Für das Vordiplom bin ich dann an die Universität Göttingen gewechselt, wo ich schlussendlich auch mein Diplom in Landwirtschaft gemacht habe. Nach einem einjährigen Ausbildungsprogramm der TU im Fachbereich „Entwicklung in ländlichen Räumen“ für internationale Landwirtschaft war es dann soweit: Ich habe im Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen drei Jahre auf Sansibar gearbeitet. Es war ein gutes und familiäres Arbeiten auf dieser schönen Insel, die bei aller Armut nicht verelendet war.

Wie das Leben so spielt – nach meiner Rückkehr habe ich meinen ersten Mann kennengelernt. Da er sich als Germanist und Kunsthistoriker im europäischen Kulturkreis aufhalten wollte, haben wir uns in Deutschland niedergelassen. Zunächst in Mannheim, wo er das Kulturzentrum „Alte Feuerwache“ geleitet hat. Sobald unsere beiden Kinder groß genug waren, habe ich mich neben einer Ausbildung in Hauswirtschaft ehrenamtlich für das Projekt „Café Filsbach“ engagiert, wo wir neben einer Begegnungsstätte auch einen Kreativraum mit Nähkursen und einer Schreinerei, Kinderbetreuung und anderem angeboten haben. Darüber hinaus waren wir auch in gutem Kontakt mit der jüdischen Gemeinde, haben eine Stadtteilzeitung mit Informationen aller Sozialverbände herausgegeben und waren Anlaufstelle für Patienten, die nach längeren Aufenthalten in medizinischen Einrichtungen wieder in die Welt gingen. Eine erfüllende, spannende Zeit! In deren Anschluss uns es in den hohen Norden nach Kiel zog, da mein Mann als Referent des Kultusministeriums berufen wurde. Neben den Aufgaben als Hausfrau und Mutter engagierte ich mich dort bis 2004 in der SPD.

Dann schied mein Mann und Vater unser beider Kinder sehr plötzlich aus dem Leben. Es folgte ein Jahr, in dem ich mich zwischen Friedhof, Garten und Zuhause bewegte und versuchte, nach diesem Schicksalsschlag wieder zu mir zu kommen. Zum Glück haben Familie und Freunde uns drei Hinterbliebene gut aufgefangen, zudem hat mein Glaube mich gestärkt. Es gab nie einen Bruch in meinem Glauben, er ist beständig in und bei mir.

Da stand ich. Allein mit zwei Kindern. Auf die Anregung einer lieben Freundin hin habe ich mich auf meinen Hauswirtschaftskurs zurückbesonnen und mich in der Seniorenbetreuung und Haushaltsführung Alleinstehender selbstständig gemacht, wo ich zwischenzeitlich vier feste Stellen parallel hatte. Mit diesem Aufgabengebiet schloss sich auch der Kreis, dass ich sehr gerne anderen Menschen helfe.

2011 passierte, was ich mir nie hätte vorstellen können und zuvor auch stets von mir gewiesen hatte: Ich lernte meinen jetzigen Mann kennen und lieben. Ich bin glücklich und stolz, dass wir miteinander, mit unseren Kindern und mittlerweile 7 Enkeln, eine harmonische und stabile Familie erschaffen haben, in der wir alle Geborgenheit erfahren.

Blicke ich mit meinen nunmehr 69 Jahren auf das Leben, so fasziniert mich eines immer wieder: Wie sehr vermeintlich zufällige Begegnungen und unplanbare Dinge es beeinflussen. Man muss nur im richtigen Moment zugreifen und das Glück beim Schopfe packen! So habe ich, da ich nach Jahren auf Mädchenschulen die Erfahrung machen wollte, mit Jungen unterrichtet zu werden und gar gemeinsam zu leben, am LSH Menschen kennen gelernt, mit denen mich bis heute eine kindlich-jugendliche Vertrautheit verbindet und die mir damals den Duft der weiten Welt in meine Gedankenwelt gebracht haben. Auf der darauffolgenden Reise haben sich meine Zukunftspläne gefestigt. 2011 saß ich in einem Café und lernte einen Mann kennen, der dieselben Werte wie ich lebt und schätzt – und der nun mein Ehemann ist. Wir genießen gemeinsam unseren Ruhestand. Die Freude an der Gartenarbeit, Besuche kultureller Veranstaltungen, Gymnastik und viel Bewegung halten uns fit. Und ich wünsche mir, dass dies noch lange so bleibt.

 

Im April 2023

Dr.Julia Diekmann ( Lehrerin am LSH seit 2020)

Dr. Julia Diekmann

Als Frau, deren intrinsischer Perfektionismus selten unter 150% befriedigt ist, war es ein nicht nur leichter Schritt, als Quereinsteigerin die Lehrtätigkeit am Internat Solling aufzunehmen. Fest steht, dass dieser Schritt ein sehr guter war und ist. Ich liebe es, mit den Schüler:innen in Kunst zu schwelgen, sie ihnen näher zu bringen und gemeinsam mit ihnen in unterschiedlichen Formen auszuprobieren. Ihr Stolz über ein gelungenes Projekt ist definitiv ansteckend.

Wobei ich gestehen muss, siehe 150 %, dass ich neue Techniken ausprobiere, bevor ich gemeinsam mit den Schüler:innen weiter damit experimentiere! Der Unterricht und dessen Herausforderung, dass Unterrichtsstunden auch mal anders laufen als von mir geplant, ist mir eine gute Schule, meinen Perfektionismus zu bremsen. Dieser stand mir insbesondere bei der Veröffentlichung meiner Dissertation gründlich im Wege, forderte mein Doktorvater doch „radikales Kürzen“. Was mir augenscheinlich im richtigen Maß geglückt ist, durfte ich mich doch über die Auszeichnung mit dem Christian-Gottlob-Heyne-Preis der Universität Göttingen freuen! Ein recht dickes i-Tüpfelchen auf die tiefe Freude, nach einem Job in der Immobilienverwaltung, der mir gegen Ende der Tätigkeit verhasst war, und der intensiven Zeit mit meiner Großmutter, die ich fünf Jahre bis zu ihrem Tode gepflegt habe, zwei Fächer zu studieren, die mich interessierten und bis heute faszinieren: Kunstgeschichte und Italianistik. Parallel zu meinem Studium habe ich mich beim Aufbau des „Forum Jacob Pins“ in Höxter engagiert, bei dem ich nebenberuflich als Kuratorin tätig bin. Jacob Pins wurde 1917 als Sohn einer deutsch – jüdischen Familie in Höxter geboren. Es gelang ihm, 1936 nach Palästina zu emigrieren, wo er trotz der schwierigen Lebensumstände und des Handicaps einer Kinderlähmung Kunst studierte. Im Weserbergland aufgewachsen, hat er im grellen Licht Palästinas lange nicht zur Farbe gefunden und so hat er häufig die heimatlichen Landschaften aus der Erinnerung gemalt. Zudem entstanden u.a. wunderschöne Holzschnitte. Er hat seinen künstlerischen Nachlass der Stadt Höxter vermacht und so zeigen wir nun in drei Themenausstellungen im Jahr aus seinem Werk, präsentieren aber auch andere Künstler:innen, die sich mit dem Judentum und zeitgenössischer Kunst auseinandersetzen. Eine wunderbare Spielwiese für die Kunsthistorikerin in mir!

Die durchaus auch mal die Seele baumeln lassen kann – und das nicht nur in der im ersten Lockdown angeschafften Hängematte, die bei uns sehr malerisch zwischen Apfel- und Pflaumenbaum baumelt! Dank des gemeinsamen Schaffens mit unseren Schüler:innen habe ich meine private Freude am künstlerischen Tun wiederentdeckt und zeichne auch zu Hause häufig. Meinen Wunsch zu rudern erfülle ich mir seit 2020 und genieße es sehr, dass es jedes einzelne Mal komplett anders ist, wenn mensch in das Boot steigt – das Wasser verhält sich unterschiedlich, die Teamzusammensetzung ändert sich immer wieder, das Wetter macht ja bekanntlich, was es will, …alles ganz herrlich unplanbar! In diesen rund eineinhalb Stunden im Boot bin ich komplett aus allem anderen raus. Den nächsten Haken auf meiner inneren Wunschliste möchte ich hinter das Singen in einem Chor setzen – ich freue mich sehr darauf, gemeinsam mit anderen ein Klangvolumen zu erzeugen und damit einen Raum zu verändern.

Es ist ganz wunderbar, nach so einigen Lebensjahren im falschen Beruf, ängstlich und introvertiert, nun hingegen so ganz und gar gerne im Leben zu stehen (und, vor einigen Jahren unvorstellbar: auch gerne auf Bühnen, hinter einem Podium – ich nehme jeden Vortrag mit, den ich kriegen kann! Mein Mann behauptet gar, ich sei zur Rampensau mutiert)! Dabei hat mir definitiv geholfen, bewusst Abstand von Dingen und Menschen zu nehmen, die mir nicht gutgetan haben. Den frei gewordenen Lebensraum füllen nun mein großer Rückhalt, mein Mann, liebe Freund:innen, spannende berufliche Herausforderungen in unserem tollen Team hier im Internat und im Forum Jacob Pins und ja, das große Geschenk, das ich mir selber bereite: nach und nach Haken hinter Dinge auf meiner Wunschliste zu setzen. Ich bin nicht „wunschlos glücklich“. Vielmehr bin ich „wunscherfüllend glücklich“.

 

im April 2023

Abel Hoehler ( LSH von 1982 – 1985 und 1988 – 1988)

Ich habe nie erwartet, dass andere Menschen, zum Beispiel meine Eltern, stolz auf mich sind. Das ist mir nur bei meinen beiden Kindern wichtig. Ich genieße es sehr, dass das Verhältnis zu Luna und Lino eng ist und sie gerne ihre Freunde zu uns mitbringen. Meines Erachtens erweitert der Kontakt zu den Freundeskreisen der Kinder meine eigenen Dimensionen.

Bei uns ist immer etwas los, ich liebe es, Menschen um mich zu haben! Dies ist sicherlich der für mich Einzelkind ganz besonders wohltuenden Erfahrung geschuldet, am LSH ständig von Freunden umgeben gewesen zu sein. Das „open House-Gefühl“ meiner Internatszeit habe ich stets auf mein Leben übertragen. Es haben oft Freunde für kurz oder lang bei mir mitgewohnt und auch Urlaube verbringen wir sehr gerne gemeinsam mit Freunden. Es gibt doch nichts Schlimmeres als Langeweile! Andere Menschen sind ein verlässliches Mittel dagegen, in einen Alltagstrott zu verfallen; sie bringen neue Ideen in das eigene Leben und sind positiver Antrieb, sich auf etwas Neues einzulassen und dafür auch mal zu überwinden.

Meine Abneigung gegen Stillstand lässt sich auch an meinem beruflichen Lebenslauf ablesen.

Nach meinem Abitur habe ich in ein Trainee-Programm der Deutschen Bank reingeschnuppert. Da ich auf einen Studienplatz in Wirtschaft hätte warten müssen, habe ich es in Berlin mit Jura versucht, das war mehr so…mittel. Letztendlich wurde es dann die Filmhochschule in München, an der ich eine spannende Zeit verbracht habe. Parallel zur Filmhochschule habe ich mit Freunden eine Produktionsfirma gegründet. Zum allerbesten Zeitpunkt, in den 90igern war die Film- und Werbebranche definitiv die, in der man sich bewegen wollte! Es war super spannend, an der Entstehung von Drehbüchern, Werbefilmen und Musikvideos beteiligt sein zu können. Derart spannend, dass ich mich mehr der Arbeit, als der Filmhochschule zugewandt habe – ich habe keinen Abschluss, der war irgendwann einfach nicht mehr wichtig. Der Boom unserer Produktionsfirma lief in den 2000er Jahren aus, woraufhin ich mich auf Immobilien konzentriert habe. Eine Weile bin ich zwischen London und der Schweiz gependelt, um mich dann 2007 ganz für die Schweiz als Hauptwohnsitz zu entscheiden. Insbesondere die Region Graubünden mit ihrer einmaligen Weite ist für mich mit einem wärmenden Heimatgefühl verbunden.

Ein grundsätzliches Heimatgefühl habe ich mir insbesondere in meiner Zeit mit mehreren internationalen Standorten darüber verschafft, dass ich stets versucht habe, mir jeweils Fixpunkte, wie zum Beispiel eine feste Laufstrecke, einzurichten. Dieser kleine Alltags-Autismus hat mir einen Wohlfühl-Rahmen geschaffen, egal, wo auf der Welt ich gearbeitet habe. Da es nicht bei Immobilien geblieben ist, sondern vielmehr noch ein Portfolio im Solar- und Windbereich hinzukam, habe ich mich unter anderem auch regelmäßig in den USA und Asien aufgehalten. In diesem Bereich bin ich derzeit nunmehr schwerpunktmäßig beratend tätig. Letztendlich gilt: Unternehmertum bleibt Unternehmertum. Du entwickelst etwas, stellst Dich auf unterschiedlichste Menschen ein, steckst in Genehmigungs – und Finanzierungsprozessen. Da ist es letztendlich egal, ob es sich um Immobilien oder ein Drehbuch handelt. Man wird gelassener und lernt, seinem Instinkt zu vertrauen.

In all dem ist es mir sehr wichtig, Zeit mit meiner Familie und Freunden zu verbringen. Unser gemeinsames Abendessen, das häufig und gerne ich zubereite (es gibt wenig Entspannenderes!), der Austausch über unsere Alltage bei tatsächlichem Augenkontakt ist mir ein Bedürfnis. Auch pflege ich Freundschaften wirklich aktiv und bewusst, es mir eine Herzensangelegenheit, mir wichtige Menschen regelmäßig persönlich zu sehen. Auch wenn es natürlich heutzutage sehr viel leichter ist, am Leben anderer teilzunehmen, als es das zur Zeit des guten alten Wähltelefones war.

Darüber hinaus ist mir der Kontakt zum „Kosmos LSH“ wichtig. Das Gefühl des wohligen Nachhausekommens, insbesondere nach der zweijährigen „LSH-Pause“ an einem Sport-Internat ist mir sehr präsent. Zudem war auch meine Tochter Luna auf dem Internat Solling. Sie berichtete mir mit einem „da war eine Frau Volger am Telefon, ich glaube, die hat Dich mal unterrichtet. Da habe ich lieber nicht gleich Deinen Namen genannt“ davon, einen Vorstellungstermin in Holzminden vereinbart zu haben. Nachdem Hasi (Hartmut Singer, mein damaliger Mathe-Lehrer) mir in der sehr vergnüglichen Situation, ihm im Elterngespräch gegenüber zu sitzen, mitteilte: „Du warst viel dümmer als Deine Tochter!“, ist dies vielleicht die richtige Stelle, all den großartigen Pädagogen zu danken, die mich geprägt habe. Danke!

Hin und wieder träume ich, dass ich wieder Schüler am LSH bin. Wohnhaft im kleinsten Zimmer der Welt, im Mittelhaus, ganz oben. Vielleicht ist dies Zimmerchen der Grund, warum ich nun immer darauf achte, dass meine Wohnräume hoch liegen und ich somit freien Blick habe. „Weitblick“ ist etwas, dass sich durch viele Ebenen meines glücklichen und zufriedenen Lebens zieht. Wahrscheinlich, weil ich so sehr gerne genau da bin, wo ich gerade im Leben stehe. Derart verwurzelt lässt es sich gut in die Ferne blicken.

Dr. Phil. Walter Esten (LSH 1965 – 1972)

Meine zwei ganz großen Träume habe ich verwirklicht.


Der eine war, mit einem Segelschiff den Atlantik zu überqueren. Das habe ich 2018/2019 getan. Den anderen, in einem Wohnmobil zu leben und zu reisen, lebe ich seit mittlerweile zwei Jahren permanent. Mir behagt das materiell reduzierte Leben an frei gewählten Orten sehr.


Das mag ein Stück weit daran liegen, dass ich mich damit schwertue, einen Ort als „Heimat“ oder „Zuhause“ zu definieren. Aufgewachsen bin ich in Peru, bis meine Eltern nach 26 Jahren in Südamerika beschlossen, wieder in Europa leben zu wollen. Da ihre Heimat Österreich ihnen zu kleingeistig war und meine Mutter gerne am Meer leben wollte, fuhr mein Vater von Barcelona aus die spanische Küste ab, bis er mit Torremolinos einen Ort fand, den er sich als Zuhause für uns vorstellen konnte. So bestiegen wir ein Kreuzfahrtschiff, das uns von Lima über den Panama Kanal nach Barcelona brachte. Im Anschluss fuhren wir im Eiltempo mit unserem Volvo nach Graz zur Promotionsfeier meines älteren Bruders. Dann ging es nach Deutschland, wo mich meine Eltern schweren Herzens im LSH ablieferten. Bekannte hatten ihnen erzählt, dass es sich um eine sehr gute Schule handle. Zudem bot das Landschulheim Spanisch als Hauptfach an, was für mich, der nicht der allerfleißigste Schüler war, die Chance auf zumindest eine gute Note auf dem Zeugnis bot. Somit wurde ich mit 13 ½ LSHler und erlitt in den ersten Monaten durchaus einen kleinen Kulturschock. Mal von dem völlig anderen Klima und der Schuluniform ganz abgesehen, war es schwierig für mich, dass die Deutschen einander so wenig berührten. In meinem bisherigen Freundeskreis hingegen war es gang und gäbe. Das abzulegen habe ich schnell gelernt! Zurückblickend war meine Zeit am Internat sehr bereichernd für mich und ich habe nach wie vor eine enge emotionale Bindung an Freunde aus dieser Zeit und letztendlich den Ort an sich. Da ich in Spanien keine Freunde hatte und die Ferien auch immer zu kurz waren, um wirkliche Bindungen zu schaffen, wurde das Internat zunehmend zu meinem wirklichen Zuhause und ich fieberte dem Ferienende (und somit der Rückkehr nach Holzminden) immer entgegen. Wir Schüler erlebten den gesellschaftlichen und politischen Gärungsprozess der damaligen Zeit hautnah und nutzten die Nähe zu Göttingen, um dort mit den Studenten zu diskutieren; uns politisch fortzubilden und gegen den Vietnam-Krieg zu demonstrieren. Obwohl wir eher hippiemäßig und antiautoritär unterwegs waren, war das Ablegen der Magisterreife erstrebenswert für uns – sogar das Tragen des Magisteranzuges!


Im Anschluss an mein Abitur am LSH wollte ich eigentlich in Deutschland studieren. Da ich aber das Internat aufgrund einer Ehrenrunde ein Jahr länger genossen hatte als ursprünglich geplant, meinten meine Eltern, ich möge als Österreicher und auch aus Kostengründen in Salzburg studieren, denn dort könnte ich bei meiner Großmutter leben. Es hat aber nicht allzu lange gedauert, bis ich das Zimmer im Juchee (Österreichisch für Dachkammer) bei meiner Großmutter gegen eine der ersten WGs in Salzburg mit gleichgesinnten Kommiliton:innen eingetauscht habe! Entsprechend meinen breit gefächerten Interessen habe ich Sozialpädagogik, Politikwissenschaft, Psychologie und Germanistik studiert. Ich war bereits in meiner Schulzeit immer politisch engagiert und habe das Verlangen, mich für Schwächere und gegen Ungerechtigkeiten anzugehen, nie abgelegt. Nach der Promotion habe ich meinen Zivildienst in der Haftentlassenen-Hilfe absolviert und dort live erlebt, wie schwer es für diese Menschen ist, sich wieder in der Gesellschaft zurecht zu finden. Im Anschluss an mein Studium habe ich in einem Heim für „marginalisierte Mädchen“ als Sozialpädagoge gearbeitet. Nach einer einjährigen Reise durch Nord -, Mittel- und Süd – Amerika wurde mir klar, dass ich über meine Arbeit im Lateinamerika – Komitee in Salzburg hinaus vor Ort tätig werden möchte. So packte ich erneut meine Koffer und flog nach Nicaragua. Aus den geplanten drei Monaten wurde rasch ein Jahr, da ich aufgrund meiner Sprachkenntnisse als Koordinator für österreichische Arbeitsbrigaden in einer Kaffeegenossenschaft im Norden Nicaraguas engagiert wurde. Es hat mir dort wahnsinnig gut gefallen, da ich alle meine politischen Träume, über die wir zuvor nur theoretisiert hatten, zumindest teilweise verwirklichen und an der Realität messen konnte. Anschließend habe ich in Nicaragua für die American-Nicaraguan-Foundation (AFN) als Dolmetscher gearbeitet. Im Anschluss daran war ich einige Jahre in der Informationsstruktur der guatemaltekischen Freiheitsbewegung tätig. Daraufhin war ich im administrativen Bereich des Büros für Entwicklungszusammenarbeit des österreichischen Außenministeriums vor Ort tätig. Jawohl! Mit kurzen Haaren, aber ohne Krawatte – für Personen, die lediglich mein jetziges Erscheinungsbild kennen, vermutlich schwer vorstellbar. Nach den Wahlen 1995 gab es starke Umbrüche, sämtlich Förderungen wurden auf Eis gelegt. Dieser politisch – wirtschaftliche Einschnitt traf auch mich, da ich zu diesem Zeitpunkt gerade selbstständig in der Koordination und Logistik von deutsch-nicaraguanischen Städtepartnerschaften arbeitete. Mein Vater bot mir an, nach Spanien zu kommen und ihn in seinem Unternehmen zu unterstützen. Da ich in Nicaragua keinerlei Perspektiven mehr für mich sah, nahm ich sein Angebot gerne an und war für fünf Jahre in der Buchhaltung unseres Betriebes tätig. Dann hat mein Vater die Firma verkauft und im Zuge der darauffolgenden Umstrukturierungen gab es dort keinen Platz mehr für mich. Da ich Golfer war, habe ich mich mittels eines postgrade Studiums im Wirtschaftsbereich und in Golf weitergebildet und in der Leitung eines kleineren Golf-Clubs in Marbella gearbeitet. Danach habe ich einige Jahre die gemeinsame Finka meiner Ex-Frau und mir verwaltet, bis wir uns gemeinsam mit einem Kompagnon mit einer Getränke-Firma selbstständig gemacht haben, in der ich bis zu meiner Pensionierung tätig war.


Diese vielen Stationen erklären sicherlich, warum es mir leichtgefallen ist, meine Habe auf Wohnmobilgröße einzuschrumpfen und auch, warum es mir liegt, nunmehr ein fahrbares Zuhause zu haben.

In all diesen Jahren habe ich weder im Deutschen meinen österreichischen, noch im Spanischen meinen südamerikanischen Slang abgelegt. Beide sind unlöschbare Teile meiner bewegten Biographie. Im Laufe derer ich gelernt habe, meinen brodelnden Jähzorn zu bändigen und mit mir selber im Einklang zu leben. Dies ist mir ganz sicherlich deswegen gelungen, da ich sowohl politisch als auch gesellschaftlich durch meinen Einsatz einiges bewegen und manchen Menschen einen leichteren Lebensweg bescheren konnte. Sei es, indem ich mein Sandkorn dazu beigetragen habe, ihr gesellschaftliches Umfeld mitzugestalten oder ihnen persönlich dabei geholfen zu haben, ihre komplizierten Lebenssituationen in den Griff zu bekommen und umzugestalten.
Da kann ich doch nun wirklich zufrieden meine Rentnerstirn in die Sonne strecken, mit Freuden Europas Vielfalt erkunden und jährlich an den Ort zurückkehren, der das Zuhause meiner Jugend war und es mir ein Stück weit noch immer ist – das LSH. Das alljährliche Altschültertreffen ist spätestens seit dem 20jährigen Abitreffen 1992 ein wichtiger Termin für mich geworden und ich versuche, so oft als möglich daran teilzunehmen. Entsprechend plane ich meine Routen dahingehend. Für eine Unterkunft muss ich ja nicht sorgen!

Dr. Peter Fliegel (LSH 1936 – 1943 )

Man muss die Mentalität seiner unmittelbaren Umgebung verstehen, dann kann der Mensch sich gut mit dem arrangieren, was ihn umgibt. Meine Fähigkeit, mich meinem Umfeld anzupassen und trotzdem meinen eigenen Weg zu beschreiten, habe ich sicherlich in meiner Zeit als Schüler am Internat Solling (welches zu meiner Zeit noch „Landschulheim am Solling“ hieß) entwickelt. Blicke ich auf meine nunmehr 97 Lebensjahre zurück, so darf ich sagen, dass ich ein gutes, erfülltes Leben hatte – abzüglich der Kriegs- und Nachkriegszeit. Mir ist es im Laufe meines Lebens immer gelungen, die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Mein Eintritt ins Internat Solling hatte familiäre Gründe: Mitgründer Gerhard Zimmermann war mein Onkel. Dank dieser Verbindung erhielten meine Eltern eine Ermäßigung des Schulgeldes, was ihnen ermöglichte, mir die gute Schulbildung am Internat zukommen zu lassen. Zu diesem Zeitpunkt konnte noch niemand ahnen, dass kriegsbedingt großer Lehrermangel herrschen würde! Ich erinnere noch gut, wie entsetzt Dr. Weller und Harry Freitag waren, als sie unserer Wissenslücken gewahr wurden. So wurde zum Beispiel unser hervorragender Musiklehrer, Herr Brand, eingezogen und durch „Musikstunden“ mit von Braunschweig geschickten Lehrern ersetzt, die uns lediglich Nazilieder beibrachten. Parallel zu meiner Adoleszenz griff der Krieg auch über den Unterricht hinaus zunehmend in mein Leben ein – wir mussten zur Hitlerjugend und in den Ferien zum Arbeitsdienst bzw. in Wehrertüchtigungslager. In diesem Zusammenhang bin ich auch zum ersten Mal in meinem Leben auf die auf Klassenunterschiede zurückzuführenden sozialen Spannungen gestoßen. Wir LSHler wurden auf die umliegenden Ortschaften aufgeteilt und so traf ich in Altendorf auf Arbeiter, die uns Schüler des Internates als „die Reichen“ verachteten. Diese Konfrontation mit völlig anderen Lebensrealitäten hat mir zugesetzt – zumal in ich in dem Alter war, in dem Jugendliche verstärkt ihre Außenwelt wahrnehmen. Darüber hinaus fielen die Dinge, die in der Internatsgemeinschaft zuvor prägend waren, weg – für uns gab es kein Theaterspielen, keine Wanderungen mehr; dafür aber, wie eingangs bereits erwähnt, viele Lehrerwechsel und Unterrichtsausfälle.

Nichtsdestotrotz war und ist mir das Internat Solling ein wichtiger Ort. Nachdem ich 1943 eingezogen wurde (zusammen mit den beiden Mitschülern Fritz Dölling und Ernst Grohmann, die ich leider in Holland aus den Augen verloren habe), habe ich im Anschluss an die Nachkriegswirren an der Fachhochschule Weihenstephan eine Ausbildung im Bereich Gartenbau gemacht. Danach war ich 1956 zunächst als Austauschschüler in der Wenatchee-Experiment-Station an der Universität Washington. Es folgten Reisejahre durch die USA und die Dominikanische Republik. Während all dieser Jahre war mir meine Tante Lenka (die zweite Ehefrau meines Onkels Gerhard Zimmermann), die am LSH lebte, immer ein Anker. Bei ihr konnte ich unterkommen, wenn ich auf die Einreisegenehmigung zu meinen im Osten lebenden Eltern warten musste. So habe ich über einige Jahre immer wieder Zeit in direkter LSH-Nähe verbracht und insbesondere die Kontakte zu Harry Freitag und Dr.Triloff aufrechterhalten.

Da ich in Deutschland nicht so recht Fuß fassen konnte, bin ich 1959 in die USA ausgewandert. Bis zum Vietnamkrieg, der das Land meiner Meinung nach unheilbar entzweit hat, waren die Vereinigten Staaten ein wunderbares Land voller Freiheiten; ein jeder konnte dort seinen Lebenstraum verwirklichen. Dank einer Anstellung als „Research Assistent“ an der Cornell University in Ithaca, New York, habe ich dort zunächst meinen Master in Nematologie (Schädlingsbekämpfung) gemacht und die dafür notwenigen zwei Jahre auf meine amerikanische Staatsbürgerschaft gewartet. Da ich während einer anschließenden Anstellung als Nemotologist beim US-amerikanischen Landwirtschaftsministerium in Georgia feststellte, dass alle meine Kollegen promoviert und somit bessere Gehälter hatten, habe ich mich erneut in Hörsäle begeben. Diese Zeit (1967) an der Rutgers State University of New Jersey barg zwei zusätzliche Vorteile – mein Bruder Wolfram und seine Familie, die seit 1949 dank der Moravia Church auch in den Staaten (Princeton) lebten, waren in unmittelbarer Nähe. Zudem konnte ich im nahen New York meinen kulturellen Hunger, insbesondere den auf Opern, stillen. Allerdings hat die Metropolitan Opera in jenem Jahr gestreikt, das habe ich ihr nie so ganz verziehen! Auch meine Liebe zur klassischen Musik ist sicherlich dem Landschulheim geschuldet. Eine meiner schönsten Erinnerungen ist die, wie Fritz Winkel in der Hohen Halle der Schulgemeinschaft die Winterreise von Franz Schubert darbrachte. Ich habe über viele Jahre hinweg meine Reisen nach Europa nach dem Spielplan der Wiener Oper und des Burgtheaters ausgerichtet. Häufig war ich dann auch in Holzminden, wo ich bei Tante Lenka oder Muhme (die Witwe Theophil Lehmanns), einmal sogar in einem freien Schülerzimmer im Oberhaus, unterkam. Als unsere Eltern verstarben, wurde der Besuch ihrer Gräber auf dem Friedhof des Internats ein wichtiges gemeinsames Ritual mit meinen Schwestern.

Auch beruflich war ich viel auf Reisen und habe u.a. im Anschluss an meine Dissertation von 1970 – 1973 in Honduras gelebt, wo es meine Aufgabe war, Bananen glücklich zu machen, da ich mich mit Schädlingsbekämpfung beschäftigt habe. Ab 1973 bis zu meiner Pensionierung im Jahre 1990 habe ich im Raum Los Angeles in den sehr spannenden Bereichen Schädlingsbekämpfung und lokale Pflanzenkrankheiten geforscht und gearbeitet. Auf meinen privaten Reisen habe ich stets versucht, Gegenden aufzusuchen, in denen kein Englisch gesprochen wird. Dadurch kam ich häufig enger mit den dort lebenden Menschen in Kontakt und konnte somit unmittelbar von ihrem Leben und ihren sozialen Verhältnissen erfahren.
Mittlerweile bin ich leider aufgrund zunehmender Schwierigkeiten mit meinem Rückgrat auf einen Rollstuhl angewiesen und kann nicht mehr reisen. Aus diesem Grunde bin ich auch nach Minnesota in die Nähe meines Bruders und seiner Familie gezogen, wo ich seit 2015 in einem Altenheim wohne. Zu meinem Leidwesen finde ich hier im Heim keinen sozialen Anschluss, da sich meine Mitbewohner lediglich für Autos, Bingo und Sport interessieren. Umso größer ist meine Freude darüber, dass die Bindung zu der Familie meines (leider vor zwei Jahren verstorbenen) Bruder sehr eng ist. Insbesondere mein Neffe Paul kümmert sich rührend um mich – er war es auch, der den Kontakt zum Internat Solling aufgenommen hat. Schon verrückt, was mittlerweile mit der modernen Technik alles möglich ist! Ehrlich gesagt wäre ich, der noch mithilfe einer Rechenmaschine mitsamt Papierrolle Statistiken erstellt hat, wohl heutzutage in einem Labor verloren! Wenn ich sehe, was mein Neffe schon allein mit seinem Handy alles machen kann, so muss ich manchmal an Ohm (der Spitzname von Theophil Lehmann) denken, der schon damals Angst vor dem technischen Fortschritt hatte. Dabei gab es die ganzen krassen Sachen der heutigen Zeit noch gar nicht! Bei den vielen Vorteilen, die die schnelle Kommunikation heutzutage bietet, sehe ich auch die Gefahr, dass viele Informationen allzu schnell und ungefiltert auf die Menschen einströmen. Das beste Beispiel dafür ist meines Erachtens die Plattform „Twitter“. Ich kann den neuen Generationen nur wünschen, dass sie es nicht verlernen, sich über fundiertes Lernen und Forschen eine eigene Meinung zu bilden.

Nach wie vor verfolge ich das aktuelle politische Weltgeschehen mit großem Interesse. Dabei habe ich mir immer den Blickwinkel eines Deutschen bewahrt. Dies gilt ein Stück weit auch für kulinarische Vorlieben – wenn ich von fester Nahrung träume (ich bin seit einiger Zeit auf flüssige Nahrung angewiesen), so erinnere ich stets den Geschmack von Thüringer Klößen und Thüringer Bratwurst.

im Januar 2023

Volker von Schintling-Horny

Nach Jahren in der freien Wirtschaft lebe ich nun, im Alter von 84 Jahren, ein Leben, das sich völlig dem Einklang mit der Natur widmet. Im Laufe der rund 25 Jahre, seit denen ich nun Imker bin, hat mich zunehmend die Urkraft der Natur durchdrungen und so lebe ich seither mit Gott an meiner Seite. Jeder Tag beginnt mit einer ihm gewidmeten Meditation und am Abend eines jeden Tages danke ich ihm für Erlebtes. Im Wissen darum, dass er seine schützende Hand über mich hält, vermisse ich den Glauben und das Vertrauen darin im Austausch mit anderen.

Mein jetziges Leben hätten sich die damaligen Lehrkräfte am Internat Solling garantiert nie vorstellen können! Von uns sieben Geschwistern waren alle bis auf eine meiner Schwestern auf dem Internat Solling. Wir waren freiheitsliebende, eher wilde Schüler:innen mit einer gehörigen Portion Unsinn in den Köpfen – meine Person so sehr, dass ich das Landschulheim verlassen musste. Der berühmte Tropfen, der das Fass in meinem Falle zum Überlaufen brachte, war ein platter Reifen an meinem Fahrrad. Der wäre an sich natürlich kein großes Thema gewesen, hätte ich ihn nicht gehabt, nachdem ich mit zwei Freunden um vier Uhr morgens ausgestiegen war, um im Solling auf die Pirsch zu gehen… Der platte Fahrradreifen verhinderte die geplante pünktliche Rückkehr zum Frühstück und ich musste geständig werden. Daraufhin tönte der damals noch ganz neue Schulleiter Dr. Erbe „Der ist hier fehl am Platze“, und ich musste daraufhin das Landschulheim verlassen.

Somit wurde ich Waldorfschüler in Benefeld, wo ich einen Jagdschein machen und reiten konnte. Da mein Vater schwer erkrankte, drängte er darauf, dass ich die Schule verließ und einen Beruf erlernte, mit dessen Wissen ich später den familiären landwirtschaftlichen Betrieb übernehmen sollte. Seinem Wunsch entsprechend verließ ich die Schule nach der 10. Klasse und absolvierte eine dreijährige Lehre zum Landmaschinenschlosser bei der Hauptgenossenschaft in Hannover. Derweil war mein Bruder mit seiner Familie aus Chile zurückgekehrt und hatte den Hof übernommen, sodass es mir möglich war, meinen eigenen Weg zu gehen. Ich habe auf dem zweiten Bildungsweg Landmaschinen-Bau studiert und meinen Diplomingenieur gemacht. Nach langen Jahren in der Industrie habe ich mich erfolgreich mit einem Kalibrier-Dienst selbstständig gemacht. Dank eines großen Auftrages des TÜVs lief das Unternehmen gut. Doch habe ich mit 75 Jahren gemerkt, dass mein beruflicher Elan kaum mehr vorhanden war und so habe ich den Betrieb an einen Kunden übergeben.

Nun widme ich mich voll und ganz dem Lebensfluss mit meinen treuen Tieren. Sowohl meine Pferde, wie auch meine liebe Hündin Ranka entstammen eigener Zucht und wir haben auf meinem kleinen Hof einen gemeinsamen Lebensrhythmus gefunden. Auch meine Bienenvölker verlangen viel Aufmerksamkeit. Diese nehmen einen ganz besonderen Platz in meinem Leben ein, da ich von einem lieben Freund gelernt habe, die Völker im Siebenstern aufzustellen, um ihre Energien besser bündeln und an die Natur zurückgeben zu können. Dieses mir von ihm vermittelte Wissen habe ich mittlerweile in meinem eigenen Verlag (der LSH-Verlag heißt), veröffentlicht. LSH-Verlag ist aus meinen Namens-Initialen (mein zweiter Vorname ist Lüdeke, also Volker Lüdeke von Schintling-Horny) erschaffen und stellt zudem eine heiße innere Verbindung zum Internat dar. Diesbezüglich berate ich auch gerne weltweit andere Imker. Darüber hinaus beschäftige ich mich mit den Energien aus Steinkreisen (es müssen mindestens fünf Steine sein!) und lege diese gerne für Menschen, die es schätzen können. Die „Neue Schule und ER den Schüler zum ER unserem Schöpfer hinziehen“ ist ein weiteres Steckenpferd, das auch im LSH-Verlag erschienen ist. So füllt sich mein Rentnerleben.

Nahe an der Selbstversorgung und ressourcenschonend, energien-leitend und voller Dankbarkeit dafür, wie gut es das Leben mit mir meint. Zu Freunden aus der Internatszeit ist der Kontakt geblieben und auch wenn ich keine Angst vor dem Tode habe, der meines Erachtens nur ein Wechseln der Hülle darstellt, so habe ich noch zu viel vor, um die jetzige ablegen zu wollen. Es gilt noch Freundschaften zu pflegen, die Leben meiner mittlerweile erwachsenen vier Kinder zu begleiten, Russisch zu lernen, mit Ranka oder zu Pferde die Natur zu genießen, Salat zu ernten, Honig zu schleudern, Steine zu bewegen und Gottes Lehre zu mehren.