Dipl.-Ing./Dipl.Brm. Michael M. Braitinger (LSH 1966 – 1971)

Dank meiner Zeit am Internat Solling, insbesondere dank der wunderbaren Pädagogik der beiden (Lehrer-) Ehepaare Zuckschwerdt und Herrenbrück, ist es mir gelungen, meine unbändige Energie in positive, verantwortungsvolle Bahnen zu lenken. Ich bin davon überzeugt, dass ich ohne das LSH maximal mit mittlerer Reife die Schule beendet oder gar eine illegale Karriere angestrebt hätte! Der frühere „Braitmops“ mit Klassenclown–Qualitäten ist heute ein schriftstellernder Gutachter, der über viele Jahre in Krisengebieten und entsprechend gefährlichen Situationen für die Wirtschaft (zum Beispiel den ICC Paris), für Versicherungen und auch für Regierungen tätig war, bzw. ist.

Nach einem kurzen Ausflug in ein BWL- Studium habe ich nach einer Kurzlehre zum Bierbrauer im Anschluss daran an der TU München Brauwesen studiert und war auch einige Jahre lang international im Management dieses Umfelds tätig. Ostasien, der vordere Orient… meine Flugmeilen waren durchaus sehenswert! Als ich dann im Jahre 1980 in den Krieg zwischen Iran und Irak geraten und nur auf sehr abenteuerlichen Wegen aus dem Kriegsgebiet rausgekommen bin, hat meine damalige Frau berechtigt ihr Veto eingelegt. So zogen wir erst nach Österreich, wo ich Betriebsleiter einer Brauerei wurde und später, als die Kinder eingeschult werden sollten, zurück nach Deutschland. Um meinen unruhigen Geist zu beschäftigen, schrieb ich mich neuerlich an einer Universität ein und studierte berufsbegleitend in Geisenheim Önologie. Mit meinem Diplom in der Tasche habe ich mich anschließend als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger und juristischer Gutachter für Maschinen und betriebliche Einrichtungen selbstständig gemacht. Was wiederum mit vielen Reisen verbunden war, da ich u.a. für das Schiedsgericht Paris gearbeitet habe. Leider zerbrach meine Ehe an diesen vielen Abwesenheiten. Neben meiner Selbstständigkeit als Gutachter/Sachverständiger (SVB) habe ich ein Unternehmen aufgebaut (Braitinger & Partner), in welchem ich spezielle Beratung im technischen Anlagenbau anboten habe, und zudem eines, dessen Schwerpunkt die technische Unternehmensberatung ist (SCB GmbH). Die zuvor bereits erwähnte unbändige Energie wollte darüber hinaus kanalisiert werden und so nahm ich den losen Lebensfaden des unvollendeten BWL-Studiums in der Form wieder auf, dass ich 25 Jahre später am PhD Programm der Mendelova Business und Management Universität teilgenommen habe. Meine fertige Doktorarbeit habe ich leider nie eingereicht, die liegt noch in einer Schublade. Zu meiner großen Freude ist meine jüngste Tochter in meine beruflichen Fußstapfen getreten. Auch sie ist öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige im Bereich Verpackungs- und allgemeiner Maschinenbau.

Geballtes Leben. Im Laufe dessen ich unglaublich viel, zum Teil auch Unglaubliches erfahren durfte und musste. Unvergessen ist mir das Jahr 1979, wo es derzeit für das Fernsehen Exekutionen am Strand von Lagos gab. Die wurden dann nachmittags zwecks Abschreckung und Einschüchterung der Bevölkerung zwischen den Kindersendungen ausgestrahlt. Wahnsinn! Mit derart schlimmen Situationen umzugehen war immer wieder schwer für mich, aber aufgrund meiner Spezialausbildung zu Schäden, die durch Brand und Explosionen entstanden sind, leider immer wieder notwendig.
Hierzu zwei markante Beispiele: Ich war im Auftrag des ICC im Jemen und 8 Tage nach Ende des Balkankrieges im Auftrag einer Investitionsbank in Serbien unterwegs. Jüngstes, wohl uns allen gut ins Gedächtnis eingebrannte Erlebnis: Das Jahrhundert-Hochwasser im Ahrtal im Jahr 2021, wo ich im Auftrag einer großen Versicherung tätig war. Dort war die Urgewalt von Wasser sehr eindrücklich sichtbar. Das Gefühl, auf einer Brücke zu stehen, unter der Polizeitaucher Autos daraufhin markierten, ob sie menschenleer waren – diese bekamen eine 0 auf das Autodach gezeichnet -, oder nicht…das vermag ich kaum in Worte zu fassen. Umso kostbarer war insbesondere in dieser Zeit der Rückhalt meiner lieben LSH-Zeitgenossen, mit denen ich über WhatsApp in engem Kontakt stand (und stehe) und Erlebtes teilen konnte.

Von manchen der Begebenheiten meines Berufslebens träume ich noch immer.
Zu meinem großen Glück erwache ich morgens auf Sylt, wo ich seit einigen Jahren mit meiner wunderbaren Lebensgefährtin Silke wohne. Als geschulte Pädagogin kann sie sehr gut mit mir kuriosem Typ und meinen Macken umgehen! Auch sie reist gerne, und so begleitet sie mich auf meinen Recherchereisen. Neben kleinen Reiseberichten, die ich unter dem Pseudonym „Reisemichel“ mit spitzer Feder verfasse, arbeite ich derzeit an einem historisch angelehnten Roman, dessen Protagonist sich über den Libanon, Griechenland, Italien und die Provence nach Portugal bewegt. Da ich das Mediterrane liebe, genieße ich das Nachspüren dieser Kulturen sehr! Doch auch ein erster Kaffee auf unserer Terrasse, umgeben von meinen mediteranen Kräutern, mit Nordsee in Nase und Ohren – das sind kleine, große Glücksmomente.
Nach rund 35 Jahren beruflicher Tätigkeit im Dienste der Juristerei habe ich so manches Mal erleben müssen, wie aus egoistischen und/oder kapitalistischen Gesichtspunkten heraus Wahrheiten hingebogen und verdreht wurden. Da sitze ich doch nun gerne auf einer übersichtlichen Nordseeinsel, freue mich an unseren insgesamt 9 Enkeln und habe so gar keine Angst vorm Sterben, da ich ein derart knallvoll erfülltes Leben genießen durfte und darf.
Dank so manch eines „Tabak Konzils“ bei und mit Adam Zuckschwerdt, einiger mit stahlblauen Augen ruhig angeregten „dann werden wir uns mal Gedanken dazu machen“ von Eva Zuckschwerdt, einer Frau Herrenbrück, der ich trotz „Zwillings-Wochenbett“ Fragen zu einem Referat stellen durfte, und vielen anderen einmaligen LSH – Momenten und – Pädagogen, die meiner persönlichen Kursbestimmung dienten, verlief mein Leben größtenteils in unruhigen, aber guten Bahnen. Um dem Leben etwas Dankbarkeit zurückzugeben, bin ich ehrenamtlich in der Seenot-Rettung tätig und setze mich bei „Right for Water“ dafür ein, dass unsere Nachkommen sorgenarm Wasserhähne aufdrehen können.
Mein Leben ist im Fluss. Ich muss und möchte nun nicht mehr da sein, wo es brennt. Womit wahrlich nicht gemeint ist, dass ich fortan auf Sparflamme brenne!

 

im Dezember 2023

Corvina Hlin

Derzeit sind auf meinem Handy 32 Listen in Themengebieten von „Kofferpackliste“ bis hin zu „FürundwiederListen bezüglich meiner Zukunftspläne“ zu finden. Ich mag das Gefühl, nicht komplett unvorbereitet in Situationen zu gehen. Die Recherche von Reiseroute, Restaurants und Sehenswürdigkeiten vor einem Ausflug zum Beispiel bereitet mir schlichtweg Freude. Das ist dann kein in Stein gemeißelter, sekundengenauer Plan, der strikt einzuhalten ist, sondern vielmehr ein kleiner Rückhalt. Meine diversen Listen helfen mir nicht nur, den Überblick zu wahren und nichts zu vergessen, sondern sind für mich vielmehr auch ein Hilfsmittel, um Abstand zu Dingen zu gewinnen. Ist etwas erst einmal niedergeschrieben, so muss ich mich nicht mehr unbedingt damit auseinandersetzen.

Apropos divers: Nachdem die Initiatorin Anka Pasch die Schule verlassen hat, bin nun ich Ansprechpartnerin für den Queeren Club hier am Internat Solling. Hier können wir uns untereinander austauschen und bestärken, gucken miteinander Filme an, die das queere Leben thematisieren und bieten einander einen geschützten Raum – den es leider nach wie vor braucht. Es ist einfach schön, Zeit mit Personen zu verbringen, die ähnliche Erfahrungen und Interessen teilen und miteinander aus Wertungsschubladen zu hüpfen!

Darüber hinaus engagiere ich mich seit Anfang 2022 im Jugendrat Holzminden. Als politisch interessierter Mensch nutze ich diese Gelegenheit, mich in ein Gremium der Stadt einzubringen. Getreu unserem Leitzsatz: „Einmischen, Aufmischen, Auffrischen“ arbeiten wir aktiv am Geschehen in und um Holzminden mit und versuchen, das Leben und Freizeitangebot jugendfreundlich zu gestalten. Mal ganz davon abgesehen, dass es mir guttut, über den „Schul-Tellerrand“ hinaus zu blicken – ich mag es sehr, mit mir vertrauten Menschen etwas in Bewegung zu setzen. Derzeit führen wir eine Umfrage mit Jugendlichen durch, was diese gerne in Bezug auf das Freizeitangebot verbessern / sich wünschen würden, organisieren aber zum Beispiel auch Müllsammelaktionen und Veranstaltungen.

In meinem Freundeskreis gab es 2020 einen krassen Einschnitt, als ich, nachdem ich zuvor als Lehrerinkind mit meiner Familie auf dem Gelände und im Anschluss daran Corona-bedingt ein Jahr lang als interne Schülerin in einer Kam gelebt habe, Externe wurde. Viele meiner damaligen Bindungen haben den Wechsel, sich nicht mehr verabredungsfrei sehen zu können, nicht verkraftet. Auch wenn ich nach wie vor hauptsächlich mit LSHlern befreundet bin, so sind dies mittlerweile zum Großteil externe Schüler:innen wie ich. Es macht schon einen großen Unterschied, ob mensch auf dem Gelände wohnt, oder nicht. Seien es nur die wöchentlichen Kam-Abende, die wie der Name schon sagt, für die Kams gedacht sind, oder Ankündigungen, die außerhalb der Schulzeit gemacht werden. Mit dem Auszug vom Gelände fing es an, dass mich manche Informationen nur verzögert und manchmal gar nicht mehr erreicht haben. Das war in Kombination mit einem Heimweh-Gefühl nach dem geballten Miteinander auf dem Internatsgelände erst einmal schmerzhaft, ist jetzt aber vollkommen in Ordnung für mich. Es hat schon auch Vorteile, bei den Eltern zu wohnen! Zumal ich im Kam-Alltag durch die Erzählungen meiner Mitschüler:innen erfahren habe, wie selten und kostbar es ist, eine intakte Familie mit Eltern zu haben, die einander lieben und eine aktive Beziehung führen! Wir Drei sind ein richtig gutes Team und ich mag es auch mit meinen derzeit 17 Jahren noch sehr, Zeit mit meinen Eltern zu verbringen. Auch wenn ich davon überzeugt bin, dass es die coole Seite davon ist, ein Geschwisterkind zu haben, wenn man eine Zimmernachbarin hat, genieße ich es jetzt, wieder ein Zimmer ganz für mich zu haben.
Während ich in meiner Zeit am Internat viel im Wald war, nutze ich nun den kurzen Weg von unserer Wohnung zur Weser. Sollte mir nicht nach Natur sein, so kann ich mich gut in der heilen Welt von Serien wie zum Beispiel „Avatar, Herr der Elemente“ verlieren oder schaue mir auch gerne live-streams wie „reved“ oder „rezo“ an, deren Themen ich mag.

Was auf meiner Zukunfts-Liste steht? Ein Restposten einer ausgeprägten Anime-Phase meines Lebens ist, dass ich gerne Japanisch lernen und das Land bereisen möchte. Auch träume ich davon, in einem Wohnwagen mit Freunden Europa zu bereisen. Im Moment möchte ich gerne in Göttingen Jura studieren. Ich mag die Stadt, deren Entfernung zu meinen Eltern perfekt ist, und kann mir gut vorstellen, mich für die Rechte anderer Personen stark zu machen. Eher als Robin Hoodin, die weniger auf der Seite von großen Konzernen, als denn für angewandte Menschenrechte kämpft. Mal schauen, ob dieser Wunsch noch in mir brennt, wenn es denn tatsächlich so weit ist, dass ich mich für ein Studium entscheiden muss. Das Gute an Listen ist ja unter anderem, dass ihre Länge selten begrenzt ist. Da passen schon noch einige Wünsche drauf!

im November 2023

Bernhard von Treuenfels

Alle starken Gefühle sind letztendlich meistens positiv. Selbst das Gefühl der Entbehrung, da es den Menschen dazu auffordert, tätig zu werden, um sich den dieses Gefühl hervorrufenden Wunsch zu erfüllen. Zudem lässt mich meine Lebenserfahrung der Überzeugung sein, dass „Glück“ häufig selbst erarbeitet ist. Mit einer gesunden Selbsteinschätzung, Überzeugung vom eigenen Tun, Hingabe, Kreativität, Beharrlichkeit, Durchhaltevermögen und letztlich Fleiß können meines Erachtens die meisten Menschen sehr viel erreichen.

Hinsichtlich meiner Familie spreche ich von einem riesengroßen Glück, das mich trägt.
Aufgewachsen bin ich, sind wir fünf Brüder, auf einer abgelegenen Kaffee-Plantage im Landesinneren von Brasilien. Dies hat nicht nur zu einer großen Naturverbundenheit, sondern auch zu einer engen Bindung innerhalb der Familie geführt.
Da die dortige Privatschule nur bis zur mittleren Reife ging, bestiegen mein älterer Bruder Hubertus und ich 1967 ein Schiff gen Deutschland, um am LSH unser Abitur zu machen. Es war sehr gut für mich, gleichzeitig mit Hubertus am LSH anzukommen und sogar die ersten 1,5 Jahre miteinander ein Zimmer zu teilen. Wir waren schon immer eng befreundet und konnten einander über das Heimweh der ersten Wochen im kalten Deutschland hinweghelfen. Vielmehr haben wir uns durchaus ein wenig in diesem Gefühl gesuhlt! Sehnsucht, Liebeskummer, Heimweh – diese Gefühle lassen einen Menschen eine starke Verbindung zu dem aufbauen, was er vermisst. Unsere Gitarren und die Musik unserer Heimat waren uns ein wichtiger Halt, obgleich das Gefühl des Vermissens dadurch auch aufrecht gehalten wurde. Im Portugiesischen gibt es sogar ein Wort dafür: „Saudade“. Unsere Familie hat uns häufig Tonaufnahmen mit Naturgeräuschen des Lebens auf der Farm und den Stimmen unserer Familienmitglieder aus der Heimat gesendet, so dass unsere Bindung nie abgerissen ist. Noch heute lese ich gerne in unserem Briefverkehr aus dieser Zeit. Als zwei Jahre nach uns auch unser jüngerer Bruder Alexander auf das Internat kam, waren wir rührend darum bemüht, auch ihn herzlich willkommen zu heißen und dafür zu sorgen, dass er sich in Holzminden gut integriert. Nach wie vor stehen wir Brüder in regem Kontakt und nutzen jede Gelegenheit, uns zu treffen und miteinander zu musizieren.

Ich glaube zu erinnern, dass wir am Internat die Tradition des Geburtstagsständchens etabliert haben! Für mich, der aus einer sehr musikalischen Familie stammt, war es toll, dass am LSH Musik so hoch angesehen war und täglich, in der Morgen- und Abendsprache, eine Rolle gespielt hat. Nach wie vor musiziere ich nahezu tagtäglich und habe immer eine kleine Ukulele in meinem Büro. Das sich mittlerweile in Hamburg befindet, wo ich seit meiner Eheschließung 1980 nach einigen beruflichen Wanderjahren in Brasilien, Frankreich und Holland lebe und wir unsere drei Töchter großgezogen haben. Obgleich ich Portugiesisch fließend und Englisch, Französisch und Niederländisch gut spreche, ist Deutsch die Sprache, in der ich beheimatet bin. Unsere Eltern haben als junge deutsche Einwanderer (ich wurde zwei Wochen nach ihrer Ankunft in Brasilien geboren) immer Deutsch mit uns gesprochen und so trifft der Begriff „Muttersprache“ in Bezug auf mich wirklich sehr gut zu. Obgleich auch meine Frau in Brasilien geboren ist, haben auch wir mit unseren Kindern Deutsch gesprochen. Umso mehr freut es mich, dass unsere Töchter mittlerweile Portugiesisch sprechen. Während der 2,5 Jahre, in denen ich in Brasilien tätig war, konnte ich unseren Kindern die südamerikanischen Wurzeln ihrer Eltern nahebringen, und so konnten sie diesen Zweig unserer Familie und unsere Kultur derart gut kennenlernen, dass sie sich zu unserer Freude stark damit identifizieren. Auch sie fühlen sich sehr zur lateinamerikanischen Musik hingezogen. Die Musik stellt eine wichtige Konstante in meinem, in unserem Leben dar.

Im Rückblick auf meine Karriere darf ich bei aller Bescheidenheit sagen, dank guter Voraussetzungen, oben genannter Eigenschaften und glücklichen Fügungen Einiges erreicht zu haben. Ich blicke nun, in der Endphase meiner Berufstätigkeit, mit Dankbarkeit auf mein Unternehmen, das ich über 25 Jahre kontinuierlich aufbauen konnte und nun an unsere älteste Tochter übergebe. Nach meinem BWL- Studium in Brasilien, beruflicher Tätigkeit in den Niederlanden und in Deutschland, meinem MBA an der renommierten INSEAD Management Schule in Fontainebleau/ Frankreich habe ich 2,5 Jahre als Interimsmanager für eine große holländische Einzelhandelskette eine Totalsanierung in Brasilien durchgeführt. Dies war die herausforderndste Aufgabe in meiner Laufbahn als Angestellter und hat mich positiv aus der Bahn geworfen, sodass danach ein reguläres Angestelltenverhältnis für mich zunehmend unattraktiv wurde. So nahm ich sechs Jahre später mein Können und meinen Mut zusammen und wurde 1999 selbstständiger Unternehmer.

Nun, in meinen 70igern, wandelt sich mein Leben allmählich. Mein Ziel ist zu erlernen, nicht mehr, wie es in meinen Berufsjahren notwendig war, als Multitasker ein Dutzend Themen parallel in der Luft zu halten. Vielmehr möchte ich die Zeit haben, mich über mehrere Stunden am Stück auf eine einzige Sache zu konzentrieren. Die Herausforderung daran ist, dass ich unter Volldampf am motiviertesten bin, zukünftig aber mit „nur“ 80% Energieaufwand arbeiten möchte! Wenige Dinge tun, diese dafür aber intensiver. So möchte ich zum Beispiel Italienisch lernen (das wird dann meine sechste Sprache) und neben Sachbüchern auch Romane lesen. Meine Frau und ich genießen es schon jetzt zunehmend, Zeit in unserem kleinen Zweitwohnsitz in Portugal zu verbringen. Hier in Deutschland bin ich nach dem (Rück-) Erwerb des ehemaligen Waldes meines Großvaters seit mittlerweile 15 Jahren Forstwirt in Mecklenburg- Vorpommern und blicke mit Freude auf die rund 100.000 Bäume, die ich in den vergangenen 10 Jahren gepflanzt habe. Wenig erdet mich so sehr, wie zwischen den wachsenden Setzlingen zu stehen. Das Abheben mit einem von mir geführten Flugzeug hingegen, das werde ich, der mit 18 Jahren den Pilotenschein gemacht hat, nicht mehr häufig erleben. Dieses wunderbare Hobby hat mir sehr viele unvergessliche An- und Augenblicke beschert und den Kindheitstraum, fliegen zu können, erfüllt. Das Gefühl, sich Kraft von Menschen erschaffener Technik vollkommen von der Erde zu lösen und eine schwere Maschine in der Luft zu beherrschen, wird mir fehlen. Doch ist es so viele Jahre gut gegangen – ich möchte das Glück nicht herausfordern. Zu groß die Freude am Leben und daran, dass es mir gelungen ist, viele Menschen mit und in ihren individuellen Fähigkeiten gefördert zu haben. Das Wissen darum, dass sich Mitarbeiter freuen, mit mir zu arbeiten und meine Familie gerne Zeit mit mir verbringt, das Vertrauen meiner Mitmenschen – all dies rührt und beschenkt mich. Da muss ich nicht mehr abheben.

im Oktober 2023

Eliza von Roenne

Meine persönlichen Stärken lassen sich nicht auf einem Zeugnis ablesen.
Das Zwischenmenschliche, Kommunikation, Hilfsbereitschaft und ein Auge für die Menschen um mich herum – all diese Talente machen mich aus, lassen sich aber nicht schwarz auf weiß in Noten ausdrücken. Vielmehr sind sie sicherlich der Grund dafür, dass ich Stufensprecherin geworden bin.

Ehrlich geschrieben würde ich nicht das Abitur anstreben, wäre ich nicht so verliebt in das Leben am LSH. Das alltägliche Miteinander, die kurzen Wege zu Aktivitäten, die kleinen Unterrichtsklassen, meine Abendrunde, auf der ich Freunden im Mittelhaus gute Nacht sagen kann, um dann auf dem Weg zum Oberhaus gedanklich mit dem Tag abzuschließen und selber ins Bett zu gehen, – all dies und noch viel mehr lässt es mich erdulden, mich innerhalb eines schulischen Benotungssystem zu bewegen, das mir eigentlich gar nicht liegt.

Meine Familie und ich wohnen ländlich, so dass jedwede Freizeitaktivität mit Planung und Fahrdiensten durch meine Mutter verbunden war. Mein Vater war selber gerne Internatsschüler (St.Blasien) und so war es recht naheliegend, dass mein älterer Bruder auf das räumlich nahe LSH wechselte und ich ihm nachgefolgt bin. Da er eine sehr wichtige Bezugsperson für mich ist, war es schön, dass wir zwei gemeinsame Jahre hier hatten. Es ist herrlich, am LSH Freunde, Freizeit, Schule und Sport erleben zu können und liebe Menschen ständig um sich herum zu haben, ohne dies konkret verabreden zu müssen! Darüber hinaus mag ich die Herausforderung, mit wahnsinnig unterschiedlichen Menschen zusammenzuleben und sie in allen Facetten kennenzulernen. Das feste Uhrzeitenkonstrukt des Internatsalltags hat mir anfangs großen Halt gegeben. Nun, mit 18 Jahren, verspüre ich Vorfreude darauf, im Anschluss an meine Schulzeit völlig selbstbestimmt zu leben.

Mein „Trostpflaster-Plan“ dafür, dass die wunderbare Internatszeit zu Ende geht, sieht derzeit vor, dass ich erst in Kapstadt ein soziales Praktikum an einer Grundschule absolviere und im Anschluss daran mit Work & Travel Australien und Neuseeland erkunde. Von dem praktischen Nebeneffekt, mein Englisch zu verbessern, mal ganz abgesehen: Ich freue mich auf die Herausforderung, mich für diese Zeit von Allem zu lösen und möglichst planlos in schönen Momenten zu verlieren. Dies wird mir, so hoffe ich, den Abschied von diesem jugendlich-unbeschwerten Lebensabschnitt in dem ich mich gerade befinde, leichter machen. Ich bin mir sicher, dass ich meine Zeit am LSH später als „die beste Zeit meines Lebens“ betiteln werde und bin meinen Eltern sehr dankbar, dass sie mir diese tolle und prägende Zeit ermöglichen. Dasselbe gilt für jeden einzelnen Mitarbeiter des Internats!

Bei allem bereits aufkommenden Abschiedsschmerz regt sich manchmal auch schon eine neugierige Vorfreude darauf, wo ich in ein paar Jahren im Leben stehen werde. Mein Ziel ist es, einfach nur glücklich zu bleiben, glücklich zu sein.

im September 2023

Mikkel (Michael) Maenss LSH 1963-1966 und 1970-1971

Eine unserer Töchter hat mal zu mir gesagt: “Papa, wir sind Glücksmenschen!“. Das kann ich nur bestätigen, auch wenn – oder vielleicht gerade weil? – unser Leben nie gerade, sondern immer im Zickzack verlief.

Wenn ich etwas ganz besonders gut kann, so ist dies: Probleme beim Schopfe packen und lösen. Etwas „auf die lange Bank schieben“ hat es bei uns noch nie gegeben! Darüber hinaus war ich mir nie für eine Tätigkeit zu schade, sondern habe vielmehr immer das getan, was getan werden musste. Somit weist mein Lebenslauf ein Konglomerat aus Versicherungsmakler, Pflegevater von insgesamt 23 Kindern, Übersetzer und Dolmetscher, Kosmetik-Vertriebler und Ferienwohnungs-Vermieter auf.

Da das LSH damals bei der deutschen Gemeinde in Venezuela, wo mein Vater tätig war, „in“ war, wurde ich im zarten Alter von 12 Jahren in Begleitung eines Botschafts-Angehörigen über New York (damals gab es noch keine Direktflüge) nach Holzminden gebracht. Rückblickend hatte ich in der Kam Brückner die beste Zeit meines Lebens! Er uns immer den Rücken freigehalten und uns liebevoll geleitet. Um ein Beispiel zu nennen: Wir haben mit großem Elan im Wald ein Fort gebaut. Brü hat sich mit dem Förster in Verbindung gesetzt und damit erreicht, dass wir uns austoben konnten – und unsere Eltern die Rechnung für die Bäume, die unser Tun nicht überlebt haben, erhalten haben! Brü war Zeit seines Lebens mein Ersatzvater, wir haben ihm später mit einer Gruppe von Altschülern einen Computer hingestellt und eine Einweisung ins Internet für ihn organisiert, so dass wir leichter mit ihm in Kontakt bleiben konnten.

Mein Vater wurde von Caracas nach Bonn versetzt, das Auswärtige Amt übernahm demzufolge nicht mehr die Internatskosten und so musste ich leider 1966 das LSH verlassen. Es folgte eine eher unglückliche Zeit in Bad Godesberg. Umso größer die Freude, als mein Vater uns 1970 verkündete, dass er nach Bogota/Kolumbien versetzt wurde. Meine Eltern zogen noch Kolumbien, meine Schwester Sabine war im Studium und ich durfte wieder nach Holzminden! Leider war dieses Mal vieles anders. Ich hatte einen Konflikt mit einem Lehrer, der sich auch in meinen Noten niederschlug. Zudem hatte ich einen schweren Autounfall im Solling. Mir wurde nahegelegt, das LSH zum Schuljahreswechsel zu verlassen. Ein heftiger Lebenseinschnitt. Dennoch habe ich es diesem Ereignis nie zugestanden, über mein Leben zu bestimmen.

Es fand sich ein Privat-Gymnasium in Wiesbaden, das bereit war, mich aufzunehmen und an dem ich mein Abitur gemacht habe. Letztendlich hatte ich in Wiesbaden eine schöne Zeit, zumal ich meine Bärbel kennengelernt habe! Das LSH hatte indirekt seine Glücksfinger im Spiel – es war Altschüler Wolfgang Niemsch, der mich einlud, am Reiterball in Braunschweig teilzunehmen. Dort habe ich meine heutige Frau kennen und lieben gelernt. Nach einer Weile in Fernbeziehung suchte Bärbel sich eine Anstellung in Wiesbaden und wir verlebten eine wunderbare Zeit in einer winzigen, möblierten Wohnung unter dem Dach. Bärbel ging morgens zur Arbeit, ich ins Gymnasium. Nach einiger Zeit haben wir beschlossen zu heiraten, haben aber vorsichtshalber die Erlaubnis vom Schuldirektor eingeholt – unsere Eltern haben wir jedoch vor vollendete Tatsachen gestellt. Das ist jetzt 50 Jahre her.
Ich stieg erfolgreich in die Vermögensberatung ein, was mir ermöglichte, tagsüber unsere mittlerweile drei Kinder zu managen, während Bärbel eine Kosmetikschule besuchte. Abends übernahm sie dann zu Hause, während ich die Kundentermine wahrnahm.

Bis uns unsere Trauzeugin eines Abends anrief, um uns darüber zu informieren, dass sie nach Portugal auswandere. Ihr „da habe ich ein besseres Leben“ hat bei uns einiges in Bewegung gesetzt. So setzten Bärbel und ich uns kurzerhand in ein Flugzeug, schauten uns fünf Tage um und kamen mit einem neuen Zukunftsplan zurück. Portugal! Wenige Monate später zuckelten wir mit unseren drei Töchtern (die zum damaligen Zeitpunkt 1, 3 und 5 Jahre alt waren) in einem ehemaligen Taxi mit einem selbst optimierten, uralten Wohnwagen die 2000 Kilometer gen Süden und genossen ein unglaubliches Freiheitsgefühl.

Soldaten des Luftwaffenstützpunktes in Beja brauchten immer Gastfamilien, damit ihre Kinder die weiterführende Schule in im rund 180 km entfernten Lissabon besuchen konnten. Bärbel hatte schon immer Erzieherin werden wollen, ich hatte die wertvolle Internatserfahrung. Wir durften in unseren 16 Jahren in Lissabon insgesamt 23 Gastkinder in unsere kleine Familie aufnehmen. Mit vielen von ihnen stehen wir nach wie vor in engem Kontakt.
Der Vertrieb der Kosmetikprodukte des Unternehmens „Dr.Belter“ wurde ein zweites Standbein in Portugal, bis es unsere Töchter zum Studium nach Deutschland zog. So fügte es sich, dass wir als Familie nach Deutschland zurückkehrten, wo wir von Bärbels Mutter ein Gästehaus auf Sylt übernahmen und nunmehr seit 1997 gerne Gastgeber für Menschen sind, die Erholung und Entspannung an der Nordsee suchen.
Für unsere eigene Erholung und Entspannung zieht es Bärbel und mich als das Meer liebende Menschen auf Kreuzfahrtschiffe. Zudem genieße ich es, mich auf zwei Rädern fortzubewegen: Motorrad und Fahrrad.

Die Teilnahme am alljährlichen Altschüler-Treffen im Oktober ist für mich eine liebgewonnene Tradition, für die ich die Insel verlasse. Nicht immer, aber sehr häufig auf dem Motorrad.

Im September 2023

Christian Jander

Mein Großvater, ein durch und durch positiver Mensch, lebte nach dem Motto „wer 100 Jahre lacht, wird alt dabei!“. Kurz vor seinem Tod sagte er zu mir: “Christian, bleib, wie Du bist. Erhalte Dir Deine Leichtigkeit!“. Meines Erachtens ist dies eine der großen Aufgaben des Alterns: Das Kind in sich zu bewahren und die schönen Aspekte des Lebens im Fokus zu behalten. Was nicht immer leicht ist angesichts des Weltgeschehens, das aufgrund unserer digitalisierten Zeit zunehmend schnell und ungefiltert aus unzähligen Richtungen auf uns einprasselt.
Grundsätzlich aber gelingt es mir gut, das Kind im Manne lebendig zu halten. Insbesondere mit unseren beiden Enkelinnen kann ich spielend leicht alles um uns herum vergessen.

Meinen Eltern hingegen werde ich nie vergessen, dass sie mir das LSH ermöglicht haben! Vieles aus meiner Schulzeit in Holzminden ist tief in meiner Seele verankert und die wirklichen, Anteil nehmenden Freunde in meinem Leben sind LSHler. Wir haben einander nie aus den Augen verloren.
Umso kostbarer für mich, da der Grund, mich auf dem Internat Solling einzuschulen, kein schöner war. Aufgrund eines Formfehlers wurde ich am staatlichen Gymnasium von dem Lehrer unterrichtet, gegen den mein Vater wegen eines Fehlers im Abitur-Zeugnis meines älteren Bruders eine Eingabe beim Kultusministerium machen musste (zu Recht, der Klage wurde stattgegeben). Wenn schon, dennschon: Er unterrichtete mich in gleich drei Fächern: Latein, Geschichte und Mathe. Heutzutage würde man seinen unprofessionellen Umgang mit mir als „Mobbing“ bezeichnen. Schlussendlich konnten meine Eltern es nicht mehr mitansehen, dass ich derart in Sippenhaft genommen wurde und so kam Dank Familie Weiler, deren Sohn Detlev bereits LSHler war und der Werbung für das Internat gemacht hat, das LSH als Alternative ins Gespräch. Gesagt, getan, ich wurde angemeldet.

Die ersten Monate waren durchaus schwer für mich, denn ich kaute noch an den schlimmen Schulerinnerungen und tat mich schwer damit, den Schritt vom behütenden Elternhaus in die Erfahrung der größeren Selbstständigkeit im Internat zu tun. Doch merkte ich in den ersten Winterferien schlagartig, dass ich mich auf die Rückkehr nach Holzminden freute, da dort meine Freunde waren. Das LSH war mir Zuhause geworden. Aus dem ich meiner Meinung nach gefestigter in die Welt gegangen bin, als es direkt vom Elternhaus der Fall hätte sein können.

Obgleich es eigentlich nie mein Wunsch war, in die beruflichen Fußstapfen meiner Eltern zu treten, habe ich im Anschluss an eine PTA-Ausbildung (Pharmazeutisch-Technischer Assistent) Dank der Einsicht, dass ein Medizin-Studium doch nicht das Richtige für mich wäre, Pharmazie studiert. Zum Glück – lernte ich doch im Studium meine Frau kennen! 1986 machten wir uns gemeinsam mit der Wolf-Apotheke in Wolfsburg selbstständig. Auch wenn ich mittlerweile nur noch in (Alters-) Teilzeit tätig bin: Die Apotheke ist nach wie vor unser drittes Kind. Was auch der Grund dafür ist, dass unsere beiden leiblichen Kinder sich für völlig andere Berufe entschieden haben – sie haben von klein auf an miterlebt, was es heißt, selbstständig zu sein und rund um die Uhr für sämtliche Belange eines Betriebes die Verantwortung zu tragen. Zu unserer großen Freude sind die beiden in ihren Berufen – Architektur und Tiermedizin – erfolgreich und so wissen wir die Beiden und ihre Familien gut abgesichert.

Ich glaube daran, dass es eine das Leben leitendende Macht gibt, die für mich die Bezeichnung „Gott“ trägt. Meine Frau und ich sind beide ehrenamtlich für unsere Kirchengemeinde tätig, um etwas von dem Lebensglück, das wir erleben dürfen, an andere weiter zu geben. Und beim nächsten Altschültertreffen, tausche ich wieder in tiefer Verbundenheit mit anderen LSHlern Erinnerungen aus. Das Leben meint es gut mit mir, wofür ich sehr dankbar bin.
Im August 2023

Marei Böddeker (geb. Hanecke; Lehrerin am LSH seit August 2022)

Nach den derzeitigen gesellschaftlichen Idealen werde ich wahrscheinlich als „langweilig“ bezeichnet.
Ich bin direkt im Anschluss an das Studium in den Beruf eingestiegen, habe mit 26 Jahren geheiratet und wir haben gerade ein Eigenheim erworben. Sehr große Partys mag ich zudem auch nicht sonderlich, vor allem da mir in größeren Menschengruppen die Gelegenheit zum wirklichen Austausch mit anderen fehlt. Sehr viel lieber spiele ich Gesellschaftsspiele mit Freunden. Auch wenn ich gerne mit meinem Mann reise, so brauche ich es nicht, die große, weite Welt zu erobern.
Was sich jetzt für manch einen als „eng“ erlesen mag, bedeutet für mich vor allem eins: Eine enorme Sicherheit. In diesem Rahmen aus Ehe, Familie, Beruf und Eigenheim kann ich mich sehr frei bewegen und entfalten, da ich die Gewissheit habe, im Falle eines hoffentlich nie eintreffenden Notfalls immer weich zu fallen. Selbstverständlich akzeptiere und verstehe ich aber auch jeden Menschen, der anders leben möchte und freue mich immer über spannende Erlebnisberichte von Schüler:innen und Freunden.

Mein Vater hat mir über ein umfassendes Songtext-Wissen der Lieder Wolfgang Petrys hinaus (diese liefen immer im Hintergrund, während wir gemeinsam gepuzzelt haben) einen besonders wichtigen Satz mitgegeben:“ Das, was andere über Dich denken, sollte nicht Deinen Charakter formen“. Sehr wichtig hingegen ist mir, was ich selber über mich und mein Handeln denke. Meines Erachtens ist die Fähigkeit zur Selbstreflektion maßgeblich dafür, möglichst vielen Menschen gerecht zu werden und somit eine Schlüsselkompetenz für alle Bereiche des Lebens. Wobei ich gestehen muss, die Notwenigkeit für einen Perspektivwechsel erst im Referendariat erkannt zu haben – da ich auf einem Dorf groß geworden bin, in dem sich mehr oder weniger alle in derselben Wertglocke befinden und ältere Menschen per se ob ihrer größeren Lebenserfahrung Recht haben, war dies zuvor schlichtweg nicht notwendig. Mensch lernt nie aus! Insbesondere als Lehrer ist man immer Lerner. Eines der Dinge, die ich am Lehrberuf sehr schätze, da ich geistigen Stillstand ablehne. Dies war ein Kriterium während meines Ausschluss-Verfahrens in Punkto Berufswahl, zumal mir ein Praktikum in einer Stadtverwaltung hervorragend aufgezeigt hat, was ich n i c h t will: Mit einem „das haben wir schon immer so gemacht“ Prozesse verlangsamen und Arbeit liegen lassen. Fürchterlich! Da bin ich doch sehr viel lieber der dreijährigen Indoktrination meines damaligen Klassenlehrers gefolgt, der uns immer am Ende einer Stunde „Englisch und Geschichte sind unsere Lieblingsfächer“ hat sagen lassen. Gesagt, studiert.

Da ich selber sehr zielorientiert lebe, schätze ich es umso mehr, gemeinsam mit unseren SchülerInnen Lernziele zu erreichen. Wobei ich den SchülerInnen beharrlich in Erinnerung rufe, dass es sehr viel schwieriger ist, die Leistung von 15 Punkten auch tatsächlich zu halten, als denn sie einmalig zu erreichen. Ich habe überhaupt kein Problem damit, die Klasse nach einer mir gerade nicht geläufigen Vokabel zu fragen. Wie sonst sollte ich auch vermitteln, dass Fehler machen und Fragen stellen nicht nur akzeptiert, sondern gewünscht wird – was würde ich denn sonst tun, wenn mir im Unterrichtsgespräch mal wieder eine Englischvokabel nicht einfällt? Vielmehr mag ich unseren Austausch sehr – siehe Perspektivwechsel.

Selbiges gilt für meine Ehe. Wir ergänzen einander sehr gut beim Verfolgen unserer gemeinsamen und jeweiligen Ziele. Da mein Mann die handwerklichen Dinge am Haus abarbeitet, bin nun ich zum ersten Mal für das Kochen zuständig. Ich beschreibe es mal so: Da ist noch Lernpotential, die Gewürzwelt hat sich mir noch nicht vollends erschlossen. Zum Glück lerne ich gerne! Um ganz sicher zu gehen, dass das Lernen für uns kein Ende findet, sind in unserem Zuhause Kinderzimmer geplant.

Ich bin gespannt, was das Leben in Holzminden so für uns bereithält!

Im August 2023

Wolfgang Mitgau (LSH 1961 – 1971 und 1995 – 2020)

Schon während meines Studiums in Göttingen konnte ich mir eine Lehrertätigkeit an einer „normalen“ Schule – 23 Schulstunden Deutsch und Sport – nicht vorstellen, und so dachte ich über Alternativen nach. Ich besuchte die Lietzheime, die Odenwaldschule und lernte auch Schondorf und Marienau kennen.

Als es dann Ernst wurde und ich die Referendarsausbildung in Braunschweig beendet hatte, wandte ich mich dem Landschulheim zu. Ich kannte den Leiter, Herrn Dr. Erbe, vom Pädagogischen Seminar in Göttingen her. Wir kamen ins Gespräch und vereinbarten, dass ich nach der Referendarszeit nach Holzminden kommen sollte. So zog ich mit meiner Kleinfamilie – Ursula war gerade geboren – im November 1961 ins Vorwerk ein.

Das Leben im Landschulheim hatte eine feste Form.
Der Tag begann nach dem Frühstück mit der „Morgensprache“ in der Hohen Halle, dann – natürlich – Unterricht, nach dem Mittagessen Versammlung, „Stille Stunde“, ein oder zweimal in der Woche Werk (Tischlerei, Schmiede, Weberei oder Arbeit in der Landwirtschaft oder Gärtnerei) – was von einigen abgelehnt, von anderen eifrig aufgenommen wurde – und die Arbeitsstunde bis zum Abendessen. Die Jungen hingegen wollten mehr Freizeit, einfach mal Nichtstun. Radios waren nur am Wochenende erlaubt, Computer gab es sowieso noch nicht. Am Wochenende waren wir oft unterwegs. Ich erinnere mich an Fahrten nach Wilhelmstal (bei Kassel), immer mit dem Fahrrad, an Paddeltouren auf der Weser, an eine nächtliche Wanderung in den Solling, bei der uns ein fürchterliches Gewitter überraschte und wir nicht schnell genug nach Hause kommen konnten. Dann die „große Wanderung“, sie führte in den Harz, nach Schleswig-Holstein und Franken. Das Kameradschaftssportfest, der Orientierungslauf und die Herbststaffette waren Unternehmungen des ganzen Heims.

Hausleiter im Vorwerk war Fritz Winkel. Er war seit 1920 im Landschulheim. Das LSH war sein Leben. Er war klar in seiner Meinung und eindeutig in seiner pädagogischen Haltung. Ich schätzte ihn sehr und habe viel von ihm gelernt – wenn auch nicht alles. Er war kein Mann des Gesprächs, seine Rede war ja ja – nein nein. Fritz Winkel verkörperte den LSH-Geist, von dem allerdings niemand so recht genau wusste, was damit gemeint war.
Aber dennoch: Der LSH Geist wohnte in der Hohen Halle. Er verkörperte sich in der Musik, im Theaterspiel, im Vortrag. Die Hohe Halle war der Mittelpunkt der Gemeinschaft.
Zu meiner Zeit als Lehrer wurde die Hohe Halle noch schweigend betreten, es durfte nicht geklatscht werden; auch liefen das Betreten und Verlassen der Halle sehr geordnet ab. Was streng und einschüchternd klingt, unterstrich aber auch den feierlichen und ernsthaften Charakter der Veranstaltungen. Zum damaligen Zeitpunkt gab es an vier Tagen in der Woche Morgensprachen und am Donnerstag und Sonntag Abendsprachen, häufig mit namhaften Gästen.

Die Stärke des Landschulheims war, dass sehr viele Mitarbeiter und insbesondere auch die Frauen sich mit dem Heim identifizierten und die Traditionen lebten.

Es gab im LSH vier pädagogische Bausteine: die Musik, die Wanderungen, das Handwerk, die Gemeinschaft – die Gemeinschaft in der Hohen Halle, in der Versammlung, im Leben der Kameradschaft.

Das Handwerk spielte auch deshalb eine Rolle, weil es im Abitur als Prüfungsfach im Rahmen der Kunst gewählt werden konnte. In diesem Rahmen entstanden Werkstücke vor allem in der Schmiede und in der Tischlerei. Sogar im Stall fand eine Prüfung statt, bei der der Abiturient seine landwirtschaftlichen Fähigkeiten beim Melken einer Kuh vor der Prüfungskommission unter Beweis stellte.

Nach sechs Jahren im Vorwerk ging ich für ein Jahr ins Mittelhaus und übernahm dann 1968 die Hausleitung im Unterhaus mit einer Magisterkam von Jungen und Mädchen. Insbesondere mit ihnen war es ein Umgang auf Augenhöhe und mit viel Vertrauen. Ich erinnere mich auch hier an unsere Provencefahrt, eine Fahrt ins Elsass und auch wieder eine Bootsfahrt auf der Weser.

Habe ich eingangs gesagt, dass mir die öffentliche Schule zu eingefahren und reformunwillig erschienen war, so erlebte ich im Landschulheim das Gegenteil. Hier waren die Studientage eingerichtet worden. Deutsch und den Sprachen (vielleicht auch Mathematik und den Naturwissenschaften) stand wöchentlich ein ganzer Tag zur Verfügung. Man traf sich am Vormittag und besprach Aufgabenstellungen zu einem Text, den jeder in der Woche zuvor gelesen hatte. Am Nachmittag traf man sich wieder und nun wurden die bearbeiteten Aufgaben besprochen. Es war eine sehr konzentrierte Arbeit und es blieb zusammen, was zusammengehörte. Diese Arbeitsweise empfand ich als außerordentlich befriedigend. Später erarbeitete eine Gruppe von Lehrern unter der Leitung von Herrn Dr. Erbe eine weitere Reform mit der Wahl von Leistungs- und Grundfächern, was dann nach behördlicher Genehmigung als ‚Holzmindener Modell‘ gehandelt wurde. Als das Kultusministerium einige Jahre später eine ähnliche Reform einführte, ging das Landschulheim-Modell in diese Reform über.
Die 1960er waren auch die Zeit des Ausbaus der Sportstätten. Aus dem rohen Mauerwerk der ungeheizten, alten Reithalle wurde eine gut ausgestattete Sporthalle. Danach entstand im Mittelteil der Giftschonung der neue Sportplatz mit der schönsten Lage im ganzen Landkreis Holzminden.

Wir waren 1961 zu dritt ins Landschulheim gekommen, in den nächsten Jahren folgten Katharina und Peter. Das Landschulheim verlangte mir viel Aufmerksamkeit ab. So blieb nicht viel Zeit für die Familie, es gab keine gemeinsamen Mahlzeiten und stattdessen viel Abwesenheit meiner Person.
Unsere Familie wäre kläglich gescheitert, wenn meine Frau Cornelie sie nicht zusammengehalten hätte und für die Kinder da gewesen wäre. Sie kümmerte sich um alles.
Familie ohne Vater war wohl auch ein Grund, weshalb wir nach 10 Jahren das Landschulheim verließen.
Es war aber formal auch so, dass ich beurlaubter Beamter war. Und dieser Urlaub war auf 10 Jahre befristet. Ich hätte mich also endgültig für das Landschulheim entscheiden müssen – und das wollte ich nicht. Dabei spielte die Veränderung des Landschulheims durch die Auswirkung der 68er-Bewegung eine Rolle. In meinen Augen sinnvolle Gepflogenheiten wurden abgeschafft, das Vertrauensverhältnis zwischen Lehrern und Schülern schwand.

Ich erhielt das Angebot, Gründungsschulleiter eines Gymnasiums in Neu-Wulmstorf zu werden. Dieser Ort, zwischen Hamburg und Buxtehude gelegen, ist nicht so schlimm wie sein Name. Also verließ ich das Landschulheim und ging im Sommer 1971 nach Neu-Wulmstorf. Wir begannen mit 70 Schülern in zwei Klassen und zwei Baracken und „allem Anfang wohnt ein Zauber inne“ … Mit den Jahren wuchsen wir auf über 1000 Schüler und bekamen ein großes Schulgebäude. Das waren nun ganz andere Erfahrungen. (Als ich im Landschulheim Oberstudienrat wurde, sagte Dr. Erbe zu mir: „Herr Mitgau, das passt eigentlich gar nicht zu Ihnen.“ Was hätte er wohl zum Oberstudiendirektor gesagt?) In dieser Pionierzeit habe ich vor allem eines gelernt: Hat ein Schulleiter ein gutes Kollegium, so lehrt auch dieses ihn viel.

1990 trennte ich mich von meiner Frau und wurde 1993 pensioniert. Ich zog daraufhin wieder nach Holzminden und lebte mit Roswitha Lehmann zusammen. Wir sollten 30 Jahre gemeinsam zu leben haben. 1995 ergriff Herr Seiler die Initiative zum Aufbau des LSH-Archivs. Er rief einige Mitarbeiter zusammen, dabei auch Roswitha Lehmann, und sie sagte zu mir: „Komm doch mal mit.“ Es wurde dann viel besprochen, das Wie und das Was – und plötzlich sah mich Herr Seiler an und sagte: „Herr Mitgau, Sie habe doch Zeit, kennen auch das Landschulheim. Wollen Sie die Arbeit nicht übernehmen?“ So kam ich zur Archivarbeit. Auf dem Dachboden des Unterhauses befanden sich 120 Umzugskartons mit Dokumenten, Schriften, Papieren. 60 Kartons wurden in die Räume des zukünftigen Archivs ins Trillofsche Haus gebracht, das das Landschulheim nach dem Tod von Dr. Triloff übernommen hatte. Ich begann auszupacken und es entstand ein großes Durcheinander. Ich bin schließlich kein ausgebildeter Archivar! Da wandte ich mich an den Stadtarchivar der Stadt Holzminden, Dr. Seliger, und holte mir Rat. Ich suchte Sachgebiete, bildete Stapel von Akten und das erste, was ich lernte: Keine Akte, kein Papier findest Du wieder, wenn Du es nicht mit einer Signatur versehen hast und ein Verzeichnis anlegst. Ich begann die Unterlagen zu ordnen und diese Tätigkeit nahm in all den Jahren kein Ende. Die Vereinigung der LEHs hatte damals Arbeitsgruppen eingerichtet, Fortbildungsgruppen für ihre Mitarbeiter für verschiedene Bereiche. So auch eine für Geschichte und Archive. Es sammelten sich die Archivbetreuer von etwa zehn Landerziehungsheimen und unter der kompetenten Leitung von Hartmut Alphei tagten wir regelmäßig einmal im Jahr. Tagungsort war jedesmal eines der Landerziehungsheime. Wir tauschten unsere Erfahrungen und Anregungen aus und besuchten jedesmal eines der großen öffentlichen Archive – in Wolfenbüttel, Hannover, Berlin, Fulda, Marburg und sonst wo. Das waren für mich wertvolle Hilfen.
Die Landerziehungsheime hatten vereinbart jeweils ihre NS-Vergangenheit aufzuarbeiten – eine 10 Jahre alte Vereinbarung. Das LSH hatte (wie andere auch) noch nichts dazu vorzuweisen. Herr Seiler meinte „Machen Sie mal“.
Ich wälzte unsere Unterlagen, befragte Zeitzeugen, befragte auch andere Landerziehungsheime und recherchierte in den staatlichen Archiven in Wolfenbüttel, Berlin, Koblenz und Marbach. 1998 kam das Heft heraus. Jeder kann es sich besorgen und lesen.

Die Devise der Archivarbeit lautet: sammeln – ordnen – forschen. Ich sammelte, was irgendwie einen Bezug zum Landschulheim hat und legte Findbücher an für Bücher, Handschriftliches und Fotos und wertete das Material aus. Der Veröffentlichung über das Landschulheim in der NS-Zeit folgte die „Chronik“ über die Zeit von 1909-1999. Dann erschien 2003 „Ein Weg durch das Landschulheim am Solling, ein historischer Rundgang“. Dazu kamen viele Artikel, meist veröffentlicht in der Giftschonung. Ich habe all diese Arbeiten mit viel Freude gemacht.

In den letzten Jahren wurden meine Augen so schlecht, dass ich am Ende nicht mehr lesen konnte. So endete meine Tätigkeit im Archiv im Jahre 2020 – nach 25jähriger Archivarbeit. Ich komme also insgesamt auf 35 Jahre Mitarbeit am Landschulheim. Nach dem Tod von Roswitha Lehmann zu Anfang des Jahres 2022 lebe ich nun als Rentner noch immer am Goseberg 34, in unmittelbarer Nachbarschaft des Landschulheims.


im Juni 2023

Katrina Mertz (Lehrerin am LSH seit 2020)

Die Neugierde auf andere Länder, andere Menschen, Sprachen und Kulturen hat mein Leben schon immer maßgeblich bestimmt.

Aufgewachsen bin ich bei meinen Adoptiveltern im Lincoln, Nebraska. Nebraska und die USA werden für mich zwar immer meine Heimat bedeuten, aber es hat mich schon immer nach Europa gezogen. Es kann durchaus sein, dass dem so ist, weil ich in Rumänien geboren wurde. Richtig dort gelebt habe ich nicht, da ich im Alter von 6 Monaten aus einen Waisenheim adoptiert wurde. Tatsächlich bin ich dankbar dafür, zur Adoption freigegeben worden zu sein. Meine leibliche Mutter war zu dem Zeitpunkt 17 Jahre jung und die Lebensumstände in Rumänien direkt nach der Diktatur mehr als schwierig. Mittlerweile stehen meine leibliche Mutter, meine zwei leiblichen Halbschwestern und ich glücklicherweise im lockeren Kontakt.

Von jungem Alter an war mir in den Staaten in Vielem das Denken und Handeln zu eng. Mir war früh wichtig unabhängig zu sein. Daher habe ich seit meinem 14. Lebensjahr gejobbt und auch neben High-School und College immer gearbeitet. Damit habe ich mir meine Freiheit erarbeitet. Da es mir immer leichtgefallen ist, für die Schule zu lernen, konnte ich nicht nur die High-School im Alter von 17 ein Jahr früher abschließen, sondern auch das BA Studium (wofür ich Stipendien erhalten habe) in meinem letzten Jahr an der High-School bereits durch Onlinekurse beginnen. Mein Antrieb war, so schnell wie möglich woanders leben zu können. Ich war neugierig auf die Welt und wollte mich von meinen Eltern unabhängig machen.

2009 brachte mich die Liebe nach Deutschland. Meinen deutschen Mann (damals noch mein Freund) habe ich in einem „History of South Africa“ – Seminar kennen gelernt, während er mit dem Fulbright-Programm ein Jahr an meiner Uni in Lincoln verbracht hat. Als ich nach Deutschland kam, habe ich im ersten Jahr täglich Deutsch an einer Sprachschule in Hannover gelernt. Zudem habe ich in Hannover sechs Jahre lang Englisch unterrichtet, mein Masterstudium absolviert und meine ersten zwei Kinder zur Welt gebracht.

Zum Glück konnte ich mein Studium und meine berufliche Tätigkeit in Hannover mit meiner Reiselust und meinem Interesse an anderen Kulturen kombinieren. Ich habe unter anderem bei der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen gearbeitet und hatte dort mit Menschen aus vielen Ländern der Welt zu tun. Mein Organisationstalent kam voll zum Tragen, als ich an Projekten und Tagungen beteiligt war, durch die ich viel in der Welt unterwegs sein durfte – wie zum Beispiel Kuba, Südkorea, der Schweiz und Indien. Für mich war das eine sehr wertvolle und lehrreiche Zeit. Nach der Geburt meines dritten Kindes habe ich glücklicherweise das Stellenangebot des Internats Solling entdeckt und mich beworben.

Lehrerin am Internat Solling sein zu können, bereitet mir große Freude. Die Schüler:innen sind aufgeweckt, das Kollegium toll und das Gelände ist natürlich wunderschön. Am Internat Solling kann ich meine Erfahrungen einfließen lassen und jungen Menschen den Weg in die Welt sprachlich sowie kulturell erleichtern. Neben dem Unterricht gilt dies auch für die zwei AGs, die ich momentan leite. Erstens leite ich seit zwei Jahren die Zumba AG beim LSH. Zumba ist eine Kombination aus Tanz und Sport mit temporeicher Musik, die oft aus dem Spanischen kommt. Hier können die Schüler:innen nicht nur Spaß an Tanz und Bewegung erleben, sondern auch Musik und manche Tanzschritte aus u.a. Lateinamerika kennenlernen. Zweitens engagiere ich mich seit diesem Schuljahr (2022/2023) zusammen mit meiner Kollegin Frau Loske in der UN-AG bzw. “Model United Nations” (MUN). MUNs gibt es überall auf der Welt. Sie bieten Schüler:innen die Möglichkeit, sich während einer Tagung mit der Arbeit und den Strukturen der UN vertraut zu machen indem UN-Sitzungen simuliert werden. Dies findet auf hohem englischen Sprachniveau statt. Ich selbst durfte als MA-Studierende an mehreren MUNs teilnehmen und habe die dortigen Erfahrungen, Eindrücke und natürlich auch den Spaß als sehr bereichernd empfunden. Daher freut es mich besonders, die interessierten LSH-Schüler:innen bei ihrer Teilnahme an der MUN in Den Haag unterstützen zu können und damit gleichzeitig eine lange LSH-Tradition zu pflegen.

Ein absolutes Highlight dieses Schuljahres war für mich, dass ich in den Osterferien 2023 die Möglichkeit hatte, mit zehn Schüler:innen des Internats in die USA zu reisen. Da wir in meiner Heimatstadt waren, konnte ich gut auf mein dortiges Netzwerk zurückgreifen und ihnen ein breites Spektrum von High-Schools, kulturellem Angebot, dem alltäglichen Leben und selbstverständlich auch der lokalen Küche (ich liebe scharfes und „Tex Mex“ Essen) bieten. Es war für mich eine sehr berührende Erfahrung, unsere Jugendlichen an den Orten zu erleben, die ich selber als Jugendliche erlebt habe. Ich selbst hatte die Chance in meinem Leben, so viele Länder zu sehen und die Welt entdecken zu können – für mich ist es wertvoll, dies den Schüler:innen ebenfalls zu ermöglichen und sie dadurch auf ihre Zukunft vorzubereiten. In meinen Augen ist interkulturelle Kompetenz ein wesentlicher Life Skill. Wie Suzy Kassem sagt: “Understanding languages and other cultures builds bridges.”

 

im Mai 2023

Philipp Graf von Francken-Sierstorpff ( LSH 1982 – 1987)

Es hat volle acht Jahre in Thailand gebraucht, um mich erkennen zu lassen: Meine Wurzeln sind deutsch, hier in Deutschland empfinde ich ein tiefes Heimatgefühl. Dies soll auf keinen Fall die acht Jahre Thailand schmälern – ich habe dort eine wichtige und schöne Zeit verlebt und tolle internationale Freundschaften geschlossen. Doch genieße ich es jetzt seit rund zwei Jahren sehr, wieder in die Vertrautheit jahrzehntelanger LSH-Freundschaften einzutauchen, in räumlicher Nähe zu meiner Familie zu leben, in meiner Muttersprache zu kommunizieren und dass deutscher Wein hier auch schlichtweg am besten schmeckt! Mal ganz abgesehen von Brot, Wurst und Käse. Zudem ist es ganz wunderbar, wieder einen Wechsel von Jahreszeiten zu erleben! Überdrüssig der vielen Sonne und hoher Temperaturen in Thailand erscheint mir heute ein kühler, verregneter Tag in Deutschland mindestens genauso lebenswert.

Der Prozess, der mich nach Thailand geführt hat, war ein eher schleichender. Obgleich ich vom Karriere-Standpunkt aus gesehen erfolgreich war, breitete sich eine diffuse Unzufriedenheit in mir aus. Als Finanz-Ökonom (ebs) und Dipl. Kaufmann war ich einer der ersten 400 Financial-Planer Deutschlands. Nach rund 10 Jahren bei der damals renommierten Privatbank Sal. Oppenheim & Cie. im Strategie-Management war ich später im Family Office derselben Bank als Berater tätig. Das war eine spannende Aufgabe, nur keine, mit der ich etwas Bleibendes, Greifbares erschaffen konnte; letztendlich war es schlichtweg Beratung. So auch bei der Eyb & Wallwitz Vermögensverwaltung, bei der ich im Anschluss als Partner tätig war und Investmentfonds aufgelegt habe. Der Wunsch nach etwas Anderem wuchs beständig und so haben mein damaliger Partner und ich Kisten und Koffer mitsamt unserem Hund Bruno, ein Magyar Viszla, gepackt. Weg von der deutschen Überreguliertheit und dem nasskalten Wetter.

Über den guten Abstand zu vielen Störfaktoren hinaus hat Thailand mir zwei weitere, sehr wichtige Dinge beschert: Zum einen die Entdeckung des Suar-Holzes, dessen faszinierende Optik mich direkt in seinen Bann gezogen hat. Ich war derart schockverliebt in diese massiven Holzplatten, dass ich mir einen Esstisch für mein Esszimmer habe anfertigen lassen. Dieser hat wiederum eine Kettenreaktion hervorgerufen: Anlässlich meines 50. Geburtstages tafelten wir mit Freunden daran. Altschüler und Freund Timo Singer fand den Tisch derart schön, dass er umgehend einen bestellt hat. Weitere Bestellungen folgten und so wurde „Conte Caserta“ geboren. Ich habe 2015 einen Business-Plan erstellt. 2018 standen wir zum ersten Mal auf der Internationalen Möbelmesse Imm Cologne in Köln. Nun, im Jahre 2023, stehen Tische von uns bei Menschen auf der ganzen Welt. Natürlich haben wir auch einige prominente Kunden, die man aus Sport, Film und Presse kennt. Um nur zwei Namen zu nennen: Arnold Schwarzenegger und das schwedische Königshaus speisen an unseren Tafeln, die durchaus auch mal eine Länge von 10 Metern erreichen können.

Damit auch Menschen mit kleinerem Budget in den Genuss eines unserer Tische kommen können, bieten wir seit Kurzem mit der City Collection kleine Versionen unserer Tische in verschiedenen Längen bis zu 200 cm an. Selbstverständlich sind die Tischplatten auch hier immer aus nur einer Scheibe Holz gefertigt und ebenso fein geschliffen wie ihre großen, exklusiven Brüder der Signature Collection.
Alle Tische können über unseren Conte Caserta Online Shop erworben werden.

Kürzlich haben wir einen 500×140 cm großen Tisch an Altschüler Dr. Holger-Ludwig Riemer ausgeliefert – da bedarf es schon einmal neun starker Männer, um das edle Stück an seinen vorgesehenen Platz zu bringen! Ich versuche, bei der Auslieferung derart wertvoller Stücke immer persönlich dabei zu sein – zum einen zur Qualitätskontrolle (meist öle ich den Tisch nach dem Aufstellen noch einmal frisch ein), zum anderen aus einem durchaus egoistischen Grund: Es ist einfach so toll, die Freude auf den Gesichtern der neuen Besitzer zu sehen! Der Satz “Der Tisch ist ja in echt noch viel schöner als auf den Bildern!“ ist mir Lohn für jede Mühe.

Das andere, lebensprägende Geschenk aus der Zeit in Thailand sind meine beiden Hunde Paul und Paula, die von unserem Bruno und der wunderschönen Golden Retriever-Dame unseres Nachbarn gezeugt wurden. Tragischerweise sind vier der sechs Welpen aus dem Wurf aufgrund bakteriell verseuchter Muttermilch binnen einer Woche nach der Geburt an Organversagen verstorben. Wir haben ohne lange zu überlegen die beiden überlebenden Welpen adoptiert und mithilfe importierter Welpenmilch im Drei-Stunden-Takt rund um die Uhr von Hand aufgezogen. Das hat eine derart enge Bindung geschaffen, dass wir sie nicht mehr abgeben wollten. Auch wenn nie geplant war, drei Hunde zu haben, will und kann ich mir ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen. Die Gang ist fester Bestandteil meines Lebens geworden. Paul & Paula leiden unter HD, einer genetisch bedingten Schiefstellung der Hüftgelenke. Zur Stärkung der Muskulatur ihres Bewegungsapparates habe ich mir angewöhnt, von Mai bis Oktober jeden Morgen gemeinsam mit allen drei Hunden einen nahe gelegenen, ca. 1 km breiten See zu durchschwimmen – natürlich soll davon auch meine eigene Figur profitieren.

Reelle, greifbare Freuden. Ich bin sehr gerne da im Leben, wo ich jetzt gerade bin. Unmittelbar an unser Grundstück grenzt ein Wald für ausgedehnte Spaziergänge. Wir genießen dieses herrlich naturnahe Leben in Bergisch Gladbach bei Köln sehr. Ich arbeite mit tollem Material, das ich stets persönlich auswähle und sorge dafür, dass andere Menschen einen individuellen, von der Natur gezeichneten Versammlungsort haben, an dem genossen, gelacht, gefeiert, getafelt, gestritten, geschwiegen, gespielt, gearbeitet, gelebt und erzählt wird.

Da das LSH maßgeblich daran beteiligt war und ist, dass ich ein glücklicher und zufriedener Mensch bin, war es mir eine Herzensangelegenheit, dass dort einer unserer Tische steht und so habe ich diesem mir so wichtigen Ort einen Tisch geschenkt. Wer durch die Chorhalle geht, kann dort sehen, was derzeit der Mittelpunkt meines Arbeitens ist. Berührt ihn mal, das ist magisch.

Im Mai 2023

(*1966, † 2024)